SchattenTod | Ein Weserbergland-Krimi
war, das er gerochen und gesehen hatte. Damals war er unfähig gewesen zu begreifen, was da vor sich ging. Er war erst drei Jahre alt gewesen.
Zwischen zwei Wehen erkannte Mutter mit glasigen Augen, wer da fassungslos vor ihrem Bett stand.
„Oh, nein!“, rief sie kraftlos. „Hol Vater, Stall, schnell!“ Dann kam eine neue Wehe. Sie bäumte sich auf, brüllte und ein weiterer Blutschwall schoss aus ihrem Unterleib. Er wich zurück in eine Ecke des Zimmers mit weit aufgerissenen Augen. Stumm, regungslos und völlig unfähig zu handeln. Er schaffte es nur, sich die kleinen Kinderhände auf die Ohren zu drücken, um die Töne zu dämpfen, die alles Weltliche hinter sich gelassen hatten. Fliehen konnte er nicht, auch keine Hilfe holen. Nur starren und warten. Warten, dass es aufhörte und Mutter wieder so war wie immer.
Doch nichts würde jemals wieder wie immer sein.
Rieke
Als Rieke zum Briefkasten ging, saßen Felix und Lena immer noch am Frühstückstisch. Sie blinzelten sich zu wie zwei Verschwörer.
„Gut, dass sie den alten Sack endlich los ist!“, sagte Felix und streckte sich gähnend.
„Ja, da bin ich echt froh!“, seufzte Lena. „Schade, dass wir dem nicht noch mal so richtig die Leviten lesen können.“
Felix grinste. „Wer sagt, dass wir das nicht können? Denk dir schon mal was Passendes aus.“
„Wie wäre es mit einer hochnotpeinlichen Befragung, so wie im Mittelalter? Haben wir gerade in Geschichte. Da wird er alles zugeben!“
„Drüben in der alten Scheune? Wo ihn niemand hört?“, fragte Felix.
Lena nickte und sagte grinsend: „Aber erst später, wenn Mama weg ist!“
Doch ihr verging das Grinsen im selben Moment, weil ihre Mutter im Hausflur vor Schreck aufschrie.
Beide Kinder fuhren vom Tisch hoch. Felix rannte in Richtung Haustür, Lena kam langsam nach. Ihr Kreislauf war immer noch nicht stabil.
Rieke stand im Flur. Vor ihr auf dem Boden lag eine hässliche Puppe. Sie war nackt und leicht verdreckt.
„Hast du deswegen geschrien?“, fragte Felix und zeigte auf das Spielzeug.
„Dreh sie mal um!“
Felix nahm die widerliche Plastikpuppe mit spitzen Fingern und wendete sie.
Auf ihrem Rücken klebte ein Foto. Es zeigte eine Grabstelle mit einem Stein, auf dem drei Namen standen. Zuerst Riekes, dann Lenas und als letzter sein eigener.
„Ja, und“, sagte er und zuckte mit den Schultern, „schlechter Scherz halt!“
Lena kam näher und sah sich das Bild an.
„Habt ihr die Sterbedaten gesehen?“, fragte Rieke.
„Bei dir steht ja heute, Mama!“, sagte Lena erschreckt.
„Na und? Kannste heute alles ganz einfach mit Photoshop machen.“ Felix gähnte.
„Soll ich nicht doch lieber die Polizei anrufen?“, fragte Rieke.
„Wenn du dich lächerlich machen willst!“, gab Felix zurück. „Ich habe eine Vermutung, wer das war. Aber lass mich erst mal machen.“
„Und wenn Mama doch was passiert?“ Lena wirkte unruhig.
„Sie ist doch eh nicht Zuhause. Da kann ihr auch keiner das Licht ausknipsen“, sagte Felix gelangweilt.
„Deine Ruhe möchte ich haben!“, erwiderte Rieke und legte die Stirn in Falten. „Das ist nicht die erste Puppe, sondern schon die dritte. Erst stand nur mein Name auf dem Foto, dann auch der von Lena und heute noch deiner.“
„Und, ist schon irgendwas passiert?“, fragte Felix.
„Nein, nichts weiter, nur die Puppen und die Fotos“, antwortete Rieke.
„Siehste! Da will dir einer Angst einjagen, mehr nicht!“
„Na gut“, erwiderte Rieke, „dann lassen wir es gut sein, aber du versuchst mal, ob du irgendwie rauskriegen kannst, was dahintersteckt, du Computerfreak. Für irgendwas muss diese Sucht doch gut sein.“
Felix verzog das Gesicht und winkte im Davonschlurfen ab. „Geht klar! Aber erst mal muss ich noch ’ne Runde pennen.“
Dass Felix im Grunde recht hatte, tat nichts zur Sache, denn was zunächst als Drohung gemeint war, war inzwischen bitterer Ernst geworden.
Luise
Eine Weile hatte Luise auf ihrem Bett gesessen. Sie wusste nicht, was sie tun sollte, und zitterte am ganzen Leib.
Die Polizei rufen? Oder einen Krankenwagen? Dann würde sie mit Sicherheit festgenommen und musste ins Gefängnis.
Sie hätte ihren Mann auf dem Gewissen, würden sie sagen. Dabei wussten sie ja nicht, wie er gewesen war. Dass er in Wirklichkeit sie auf dem Gewissen hatte. Immer diese nassen Lippen und das Betatschen. Dauernd hatte er Sex gewollt. Es juckte sie schon, wenn sie nur daran dachte. Jetzt hatte sie mal was in
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