SchattenTod | Ein Weserbergland-Krimi
Frühling in der Luft. Die Vögel zwitscherten anders, der Stand der Sonne versprach, dass der Winter nun endlich vorüber war. Und noch etwas löste bei Rieke Frühlingsgefühle aus. Leander liebte sie. Sie würden sich heute Abend am Schützenhaus im Harrl treffen. Wie er wohl küsste? Sie hatte seit Jahren nicht mehr geküsst. Mit diesen wunderbar verzückten Gedanken fuhr sie durch die Kornmasch und auch in die Hoffnung auf eine glückliche Zukunft.
Sie hatte den Mann nicht kommen sehen, der seitlich aus dem kleinen Wald vor dem Rethhof sprang und sie vom Rad riss. Der Aufprall war hart und nahm ihr die Besinnung. Für sie selbst war es so, als ob ihr jemand das Licht ausgeknipst hatte. Auch niemand anders hatte etwas bemerkt. Der Vermummte zog sie ins Dickicht und stopfte ihr ein Herrentaschentuch in den Mund. Dann band er eine elastische Binde um ihren Kopf, damit sie nicht schreien konnte, wenn sie wach wurde.
Rieke war ein Leichtgewicht. So fiel es dem Mann nicht schwer, sie durch den Wald auf die große Wiese jenseits des Hofes zu ziehen, wo sich um diese Uhrzeit noch niemand aufhielt. Wie ein großer Kegel war das Holz für das Osterfeuer am Abend aufgestellt worden.
Vorsichtig zog der Vermummte einige dünne Stämme beiseite und schob Rieke in die Mitte des Kegels. Sie war noch immer bewusstlos. Er hoffte, dass sie bald aufwachen würde und dann in Panik geriet. Das war es, was Frank erreichen wollte.
Er hatte keine weiße Weste und sah sich zu gerne unerlaubte Filmchen im Internet an, aber er war kein Mörder.
Um ihr Leben sorgte er sich nicht, auch nicht darum, unverhofft zum Mörder zu werden, denn die freiwillige Feuerwehr kontrollierte vor dem Entfachen des Osterfeuers genau, ob sich irgendetwas Lebendiges in dem Holzkegel verirrt hatte.
Als er wieder zu Hause war, rief er Klara an, dass Rieke leider nicht zum Üben kommen könne, da sie erkrankt sei. So würde sie während der nächsten Stunden niemand vermissen.
Was Frank nicht bedachte hatte, war, dass sich dieses Osterfeuer auf privatem Grund befand. Erst der Geruch des verbrennenden Fleisches würde verraten, dass nicht nur Holz im lodernden Feuer verkohlte.
Leander
In einem kurzen, lichten Moment erwachte Leander aus seiner Bewusstlosigkeit. Er wusste zuerst nicht, wo er sich befand, und war unfähig, sich zu bewegen. Der Schmerz war zu groß. Jeder Atemzug tat weh. Er hatte den Geschmack von Eisen im Mund. Um ihn herum war endlose Stille. Die Zeit hatte aufgehört zu existieren. Wie lange er schon dort lag, wusste er nicht. Mit großer Anstrengung gelang es ihm irgendwann, den Kopf etwas seitlich zu drehen.
Er musste in der Küche liegen, wusste aber nicht wieso. Ob ihm schwindelig geworden war? Vorsichtig drehte er den Kopf zurück und blickte an sich herab. Da sah er, dass etwas Hölzernes aus ihm herausragte. Während er sich noch über diesen Umstand wunderte, fiel ihm auf, dass das Holz von Metall durchzogen war. Mit der Erkenntnis, dass dieses Gebilde der Griff eines Messers sein musste, dessen Klinge in ihm steckte, schwand erneut sein Bewusstsein.
Er
Soeben verklangen die letzten Akkorde der Mondscheinsonate unter seinen Händen. Seine Mutter hätte geweint bei dem Gefühl, das er in die Musik legen konnte. Es wurde für die Zuhörer spürbar. Sie fühlten seine Intensität, seinen Schmerz.
Er sah seine Mutter noch vor sich, wie sie behutsam seine kleinen Finger auf die Tasten gelegt hatte. „Töne sind etwas Wunderbares“, hatte sie zu ihrem dreijährigen Sohn gesagt. „Sie verraten oder verbergen alles. Das ganze Leben liegt in der Musik, wenn man sie versteht.“ Sie hatte recht behalten. Sein Kopf war voller Dissonanzen. In ihm rieben sich verminderte Sekunden mit schrillem Klang, Quintparallelen verhöhnten ihn. Der Tinnitus in seinem linken Ohr quälte ihn mit einer Septime.
Er brauchte sie, seine Venus, damit er in seinem Leben wieder Akkorde fühlte, die er ertragen konnte. Sie war ihr so ähnlich. So verletzlich, so zart. Er hätte nie zu hoffen gewagt, dass es eine Frau geben könnte, die ihn so mit Glückseligkeit erfüllte.
Seine Versuche, die anderen zu dem zu machen, was er ersehnte, waren kläglich gescheitert. Er erinnerte sich noch an die erste Tote mit den verschiedenfarbigen Augen. Sie hatte sich in ihn verliebt und Kinder von ihm gewollt. Das hatte er nicht ertragen.
Sofort hatte er ihren gewölbten Leib vor Augen gesehen, ihre Angst, das Blut gerochen. Warum konnten sie nicht nur Frau sein
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