Schattentraeumer - Roman
verloren, und das Opfer seiner Raserei lag nun mit gebrochener Nase zu Hause.
Er nahm Platz.
»Ich dulde keine Schlägereien in meinem Lagerhaus«, erklärte der Chef, steckte sich eine Chesterfield in seinen vollen Bart
und zündete sie an. »Hast du irgendetwas zu deiner Verteidigung zu sagen? Willst du dich vielleicht entschuldigen?«
Nicos schüttelte den Kopf. Der Chef schloss für einen kurzen Moment die Augen, um zu demonstrieren, wie enttäuscht er war.
»Du weißt, dass ich das nicht einfach so durchgehen lassen kann. Du hast jemandem die Nase gebrochen. Gibt es wirklich nichts,
was du mir sagen möchtest? Den Grund für deinen Ausraster zum Beispiel?«
Nicos schätzte die Geduld seines Gegenübers, schwieg jedoch hartnäckig. Er wusste, wann er den Mund zu halten hatte, selbst
wenn sein Handeln gerechtfertigt gewesen war. Marios hatte sich nichts weiter dabei gedacht, er war bloß neugierig geworden,
weil die Kiste so gescheppert hatte. Als er daraufhin hineingeschaut hatte, war Costas gleich zu ihm gerannt gekommen, hatte
ihn grob an den Haaren gepackt und einen blöden
vlaka
genannt, der sich gefälligst um seinen eigenen Scheiß kümmern sollte. Nicos war gerade am anderen Ende des Lagerhauses beschäftigt
gewesen, sah den Schmerz und das Unverständnis im Gesicht seines Bruders und drehte durch. Niemand nannte seinen Bruder einen
Idioten, und ohne nachzudenken hatte er sich auf Costas gestürzt und mit der Faust zugeschlagen. Ein widerliches Knacken –
dann war das Blut geflossen.
»Wie mir der Vorarbeiter sagte, bist du für deinen Bruder eingetreten«, fuhr der Chef fort und machte dann eine Pause, um
Nicos’ Bestätigung abzuwarten. »Nun, wenn dem so sein sollte, ehrt dich das, und in gewisser Weise respektiere ich, was du
getan hast. Trotzdem ist das hier eine Arbeitsstätte und kein Spielplatz oder Boxring. Betrachte das hier also als offizielle
Verwarnung. Fürs Erste behältst du deinen Job, aber sollte ich dieses Gespräch noch einmal mit dir führen müssen, bist du
gefeuert. Verstanden?«
»Verstanden«, wiederholte Nicos.
Der Chef erhob sich von seinem Stuhl und gab dem Jungen damit zu verstehen, dass ihre Unterredung beendet war. Erleichtert,
wenn auch nicht sonderlich überrascht kehrte Nicos in das Lagerhaus zurück. Er machte sich keine Illusionen, warum erdiesmal mit einem blauen Auge davongekommen war. Nun musste er dafür sorgen, dass Marios es ebenfalls verstand. Denn sollte
seinem Bruder irgendetwas über die Waffen rausrutschen, die er in der Kiste entdeckt hatte, würden die beiden das nicht mit
ihrem Arbeitsplatz bezahlen, sondern mit ihrem Leben.
»Du errätst nie, wie sie im Dorf inzwischen eure Jungs nennen.«
»Wer, sie?«
»Na ja, so das ganze Dorf in etwa.«
»Mich schaudert bei dem Gedanken«, sagte Dhespina zu ihrer Schwester.
»Sie nennen sie die Dighenis-Brüder – nach dem Fünf-Finger-Gebirge!«
Dhespina lächelte. Sie begriff sofort, was es mit dem Vergleich auf sich hatte: Der Legende nach entkam Dighenis – der riesenhafte
byzantinische Held – seinen arabischen Verfolgern, indem er von Kleinasien hinüber nach Nordzypern sprang. Bei seiner Landung
auf der Insel krallte er sich an den Felsen fest und hinterließ dort bis in alle Ewigkeit den Abdruck seiner fünf Finger.
Auch wenn ihre Söhne über die Grenzen ihres Dorfes hinaus keine legendären Helden sein dürften, so waren sie doch alle ungewöhnlich
groß. Selbst Loukis, der sie mit seinen vierzehn Jahren längst überragte, wuchs seinem Vater mit jedem Tag ein Stückchen mehr
über den Kopf.
»Ich finde, es passt zu ihnen«, erklärte Lenya und ließ die Tinktur, die Dhespina aus den roten Beeren des Mönchspfeffers
zusammengebraut hatte, in ihrer Handtasche verschwinden.
»Trägst du nachts noch die Hose?«
»Morgens, mittags, nachts, sie kommt nie runter, außer natürlich, wenn wir ES tun«, sagte Lenya lachend. »Andreas dreht allmählich
durch. Er nennt mich inzwischen schon
dolmades
!«
Dhespina schnappte nach Luft. Keine Frau, die klar bei Verstand war, sollte ihrem Mann gestatten, sie mit Weinblättern zu
vergleichen, in die man Reis stopft. Die Hose sollte dafür sorgen,dass auch die trägen Spermien nach dem Sex im Körper blieben, eine sehr effektive Maßnahme, wie jeder wusste, insbesondere,
wenn die Frau zusätzlich ihre Beine in die Luft streckte. Zugegeben, die Hose sah grässlich aus, aber in manchen Fällen war
sie
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