Schattentraeumer - Roman
gemeinsam mit Personen außerhalb der Kirche gegen
ihn verschworen zu haben. Er fügte hinzu, dass sein Rücktritt zwangsläufig in eine nationale Katastrophe münden würde.
Elenas Unterstützung für den Erzbischof war unerschütterlichwie immer. Mit wütend erhobener Faust schimpfte sie vor dem Fernsehbildschirm: »Zuerst wollen sie ihn aus dem Amt schießen,
und jetzt versuchen es die verdammten Mistkerle mit einem Kirchenputsch!«
Vor dem Fenster erwiderte leiser Applaus der neugierigen Nachbarn ihren Ausruf.
23
Im Büro erklang eine Symphonie aus tippenden Fingern, klingelnden Telefonen, gebellten Befehlen und dem Zerreißen von Papier.
Die bleichgesichtigen Reporter ernährten sich von Kaffee, Zigaretten und Adrenalin. Michalakis stürzte sich mit einer Begeisterung
in die Arbeit, die er seit dem Wendepunkt der Unabhängigkeit in diesem Maße nicht mehr verspürt hatte. Das Fieber der Präsidentschaftswahlen
hatte ganz Zypern erfasst.
Von allen Seiten unter Beschuss geraten, hatte Makarios die Gläubigen an die Wahlurne gerufen, um seine Position zu stärken,
und aus dem Palast kam täglich neuer Stoff für Seite eins. Mit stillschweigender Billigung der Regierung zeigte die Presse
endlich ihre Zähne und wandte sich gegen Athen. Die Schlagzeilen wetterten gegen die Autorität der Junta, lautstark forderten
Kommentatoren die Ausweisung ihrer Offiziere.
Die Stimme
ging einen Schritt weiter, indem sie den verdrängten griechischen Premier aufforderte, eine Exilregierung zu bilden. Diese
Strategie war riskant und machte jedes Mitglied der Redaktion zu einer potentiellen Zielscheibe, dennoch wurden keinerlei
Einwände erhoben. Michalakis und seine Kollegen waren endlich von ihren Fesseln befreit.
»Hoffnungslose Mistkerle.«
Der Herausgeber knallte die Pressemitteilung auf Michalakis’ Schreibtisch. Es war eine erneute Forderung der Enosis
-
Lobby , aus der Präsidentschaftswahl eine Volksabstimmung über die Vereinigung mit Griechenland zu machen.
»Das kommt ein bisschen spät, oder?«, bemerkte Michalakis. Die Wahl fand in weniger als vierundzwanzig Stunden statt, und
sofern die Junta nicht mit Panzern in die Hauptstadt einrollte,würde sie die Abstimmung wohl kaum noch verhindern können. Am Schreibtisch neben ihm knallte der Kriminalreporter Tassos den
Telefonhörer auf die Gabel. Die gewünschte Aufmerksamkeit wurde ihm sofort zuteil.
»Noch weitere Angriffe!«, brüllte er.
»Wo?«, wollte der Herausgeber wissen.
»Zwei in Pafos, einer in Lemesos und drei in der Nähe von Larnaka.«
Sein Chef pfiff durch seine Zahnlücke. »Gut, fangt an zu schreiben. Michalakis, du besorgst eine Bestätigung und einen Kommentar
vom Palast. Produktion: Die erste Seite wird neu entworfen!«
Auf den Befehl des Herausgebers hin setzte sich sofort das ganze Büro in Gang. Über eine knisternde Telefonverbindung verifizierte
Michalakis rasch die neueste Zahl von achtzehn Angriffen, die der Kriminalreporter gemeldet hatte. Sie waren auf Polizeiwachen
gerichtet, etwa hundertfünfzig bewaffnete Männer waren daran beteiligt, manche führten Dynamit bei sich. Michalakis übermittelte
die angemessene Verurteilung der Taten aus dem Palast, Tassos fügte sie in den dritten Absatz seines Artikels ein und setzte
darunter eine Auflistung der Beute, die die Attentäter gemacht hatten. Die Aufrührer hatten Uniformen, Waffen und Munition
mitgehen lassen, die alle gegen ihr eigenes Volk verwendet werden sollten.
Am nächsten Tag verkündete
Die Stimme
in ihrer Titelschlagzeile: »Bewaffnete greifen die Demokratie an« – und Makarios marschierte ungehindert einem dritten Wahlsieg
entgegen.
Georgios warf einen Blick auf Mehmet, der in tiefer Konzentration versunken war. Um sie herum summten alltägliche Gespräche
und scherzhafte Sticheleien an den Tischen. Es war ein ganz gewöhnlicher Spätnachmittag, außer dass er seinen Kaffee nun
sade
statt
sketto
trank.
Nach den Schrecken der sechziger Jahre, die allen eine traurige Erinnerung waren, war die Hälfte der türkischen Bevölkerungdes Dorfes zurückgekehrt und hatte ihr altes Leben wieder aufgenommen. Einige von ihnen waren gleich wieder fortgezogen, als
sie ihre Häuser besetzt vorfanden, doch die meisten ließen sich nicht erschüttern und blieben, wenn sie auch nicht alles vergessen
konnten. Das türkische Kaffeehaus, das man während des Exodus aufgegeben hatte, wurde stillschweigend wiedereröffnet, als
sich genug
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