Schattentraeumer - Roman
so schlimm ist es nun wirklich nicht …«
Elena zog skeptisch eine Augenbraue hoch. »Schlimm bleibt schlimm, mein Kind. Außerdem werde ich hier gebraucht.«
»Wozu denn? Du siehst doch den ganzen Tag nur fern!«
»Elpida!«, wies Praxi sie zurecht.
»Na ja …«, murrte das Mädchen. »Ist doch wahr.«
»Ich unterstütze unseren Erzbischof, das ist alles«, verteidigte Elena sich.
»Aber er hat doch längst gewonnen!«, protestierte Elpida. »Der Teufel gibt niemals auf, also werde ich es auch nicht tun.«
Während Elena ihre Aufmerksamkeit wieder dem Fernsehbildschirm zuwandte, ließ Elpida sich auf den Boden fallen, hämmerte mit
den Fäusten darauf ein und verkündete, dass sie binnen kürzester Zeit sterben werde, wenn ihr niemand zu Hilfe käme. Praxi
lächelte, und Elena drehte die Lautstärke noch ein bisschen weiter auf.
Als Amt und Leben ihres spirituellen Führers bedroht wurden, hatte Elena regelmäßig in der Kirche gebetet, ihre Bürgerinnenpflicht
an der Wahlurne erfüllt und Bilder des großen Mannes an die Fenster ihres Hauses geklebt. Makarios kämpfte nicht nur gegen
die Türkei und die türkischen Zyprer, gegen Griechenland, Grivas und die Pro-Enosis-Lobby, gegen Teile der Nationalgarde,
seine eigenen Polizeikräfte und zwei von drei Privatmilizen, sondern auch gegen Mitglieder seiner eigenen Kirche. Zum Glück
war der Erzbischof gerissen. Als seine Brüder seinen Rücktritt forderten, berief er eine Oberste Synode ein, die einer Heiligen
bei weitem überlegen war. Die aufrührerischen Bischöfe wurden der Kirchenspaltung bezichtigt und umgehend ihrer Ämtern enthoben.
»Früher hätte man dafür gesorgt, dass sie ins Gras beißen«, rief Elena.
»Die Hippies würden sich freuen, die mögen Gras ja gern«, witzelte Praxi. Elena würdigte diesen Scherz keines Kommentars.
Die Zukunft des Erzbischofs war eine ernste Angelegenheit.
Außerstande, ihre Mutter zu provozieren, und in der sicherenÜberzeugung, dass alle Hausbewohner gebührend abgelenkt waren, verkündete Praxi, sie würde ein wenig frische Luft schnappen
gehen. Als sie die Haustür öffnete, schaute Elpida traurig von ihrem Brief hoch.
»Ich würde ja mitkommen, Mamma, aber das Gehen fällt schwer, wenn einem das Herz gebrochen wurde.«
Praxi verdrehte die Augen. Ihre Tochter erinnerte sie wirklich manchmal an sie selbst. Von der Theatralik ihrer Familie befreit,
entfernte sie sich aus dem Dorf und lief auf Loukis’ Haus zu. Er saß über einen Artikel seines Bruders gebeugt.
»Also, nun haben sie ihn«, stellte er nüchtern fest.
»Wen?«
»Antoniou Charalambous.«
»Dein einbeiniger Freund?«, fragte sie, und Loukis nickte.
»Na ja, aber du meintest doch, es sei nur eine Frage der Zeit«, verkündete sie und merkte zu spät, wie mitleidlos ihre Worte
klangen. »Übrigens will Elpida Jason auf Kreta besuchen.«
»Was hast du dazu gesagt?«
»Natürlich nein.«
Loukis lächelte bei der Vorstellung, wie seine Tochter die Stirn in Falten zog, weil sie diese Antwort auf ihr Ansinnen unerträglich
ungerecht fand. »Unter normalen Umständen wäre ich ganz deiner Meinung, aber hier wird bald die Hölle los sein. Vielleicht
wäre es sogar besser, sie ins Ausland zu schicken.«
»Ach, komm schon, Loukis, so schlimm ist es auch wieder nicht«, gab Praxi zurück. »Wir haben schon Schlimmeres durchgemacht.
Und außerdem werden zwei Wochen wohl kaum reichen, um die Lage auf der Insel zur Sicherheit unserer Tochter komplett zu wenden.«
»Da hast du recht«, gab Loukis zu. Er legte die Zeitung zusammengefaltet beiseite. So wie die Probleme sich zuspitzten, würde
es mit der Gewalt wohl nicht so bald vorbei sein.
Auch wenn Loukis den Weg, den Antoniou eingeschlagen hatte, niemals gutheißen konnte, verstand er ihn doch bis zu einem gewissen
Grad, und er fühlte mit ihm. Antoniou warkein schlechter Mensch. Er ließ sich von Trauer und einem unerschütterlichen Glauben an eine Sache leiten, die ihn bereits
ein Bein gekostet hatte. Der unter Druck geratene Präsident hatte jedoch entschlossen gehandelt. Als die EOKA-B-Kämp fer einen Gang zulegten, wurde die Taktische Polizeireserve auf Zerschlagungsmissionen geschickt. Bei einer ihrer Razzien erwischten
sie Grivas’ Stellvertreter und mit ihm zwanzig andere ranghohe Kämpfer. Antoniou war einer von ihnen.
Der Zeitung zufolge warf man den Männern eine Verschwörung zum Sturz der Regierung vor. Die Pro-Enosis-Partei widersprach
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