Schattentraeumer - Roman
dem Bett zusammen.
Nach all den Jahren war Loukis wieder heimgekehrt. Er war ihr so nah, dass sie meinte, ihn riechen zu können. Die Erinnerung
an ihre kindliche Liebe war inzwischen ein wenig verblasst, die süße Zuneigung von einst hingegen sehr lebendig – sie hatte
sich nur verändert, war stärker, schmerzlicher und erwachsener geworden. Praxi verzehrte sich nicht nach dem Jungen, der über
Jahre ihr Freund gewesen war, sondern nach dem Mann, den sie nur kurz kennengelernt hatte. Sie sehnte sich nach seinen Küssen
und nach seinen Berührungen, und die Liebe, die sie für ihn empfand, vernichtete sie.
Sie kroch vom Bett und schenkte sich einen weiteren Brandy ein. Der Alkohol brannte wie Feuer in ihrer Kehle und breitete
sich heiß in ihrer Brust aus. Sie füllte ihr Glas noch einmal und ging hinüber zum Fenster. Unter ihr räumte Yiannis gerade
Tische ab. Während er schmutzige Gläser auf ein Tablett stellte, balancierte er Elpida auf seiner Hüfte. Jede andere, normale
Mutter hätte sich vermutlich darüber gefreut, wie sehr er in diesesKind vernarrt war. Praxi hingegen machte es nur schwermütiger. Unglücklich ließ sie sich wieder auf ihr Bett sinken. Mit geschlossenen
Augen versuchte sie, sich in freundlichen Träumen zu verlieren, suchte verzweifelt Trost in einer glücklichen Zukunft – wenn
diese auch nur in ihrer Phantasie stattfinden konnte.
Während Praxi sich vorzustellen versuchte, wie Loukis heute wohl aussehen mochte, führte der Mann ihrer Träume nur wenige
Kilometer entfernt einen ähnlichen Kampf. Loukis jedoch wollte keine Bilder heraufbeschwören, er wollte sie loswerden. Als
er schließlich einsah, dass es aussichtslos war, machte er sich auf, jenen Mann zu besuchen, den er früher Stavros genannt
hatte.
Er fand Mehmet in seinem Orangengarten. Bei seinem Streifzug durch die Felder des alten Mannes hatte Loukis feststellen müssen,
dass alles in einem außerordentlich schlechten Zustand war.
»Es wird mir einfach zu viel«, gestand Mehmet, als Loukis ihn darauf ansprach. »Ich bin alt und, wenn ich ehrlich sein soll,
ich hab genug von der schweren Arbeit. Ich bewältige gerade mal noch das, was ich brauche, um über die Runden zu kommen.«
»Dann lassen Sie mich Ihnen helfen«, schlug Loukis vor.
Mehmet lächelte dankbar, schüttelte dann aber den Kopf. »Das kann ich mir nicht leisten, mein Junge. So, wie meine Kräfte
schwinden, tun es auch die Zypern-Pfunde.«
Loukis überlegte. Er brauchte die Ablenkung und die Ehrlichkeit schwerer, körperlicher Arbeit mehr als das Geld. Also schlug
er Mehmet vor, sich um die Ernte zu kümmern, die Zäune zu flicken und alle anderen Arbeiten zu erledigen, die auf dem Hof
und auf den Feldern anfielen. Im Gegenzug könnte ihm der Bauer ein kleines Stück Land zur Verfügung stellen, auf dem Loukis
sich ein Häuschen bauen würde, und ihm außerdem erlauben, Hasen und Vögel auf seinem Land zu jagen, um sie im Dorf zu verkaufen.
Mehmet wiegte den Kopf und überdachte den Vorschlag, schließlich nickte er.
»Das ist gar keine schlechte Idee«, stimmte er Loukis zu. »Ich muss das natürlich erst mit Pembe besprechen. Aber vielleicht
finden wir ja eine prozentuale Regelung für das, was wir auf dem Markt einnehmen.«
Die beiden Männer besiegelten ihre Abmachung mit einem Handschlag. Als Loukis sich zum Gehen wandte, hielt Mehmet ihn zurück.
Sein Gesicht war ernst.
»Ich muss dich etwas fragen«, sagte er. »Du warst in der EOKA, stimmt’s?«
Loukis nickte unsicher. Er hatte seit seiner Rückkehr kaum über dieses Thema gesprochen.
»Das hab ich mir gedacht«, sagte der alte Mann. »Und sag: Hast du in dieser Zeit einen Türken getötet?«
»Nein«, versicherte ihm Loukis, und Mehmet lockerte seinen Griff.
»Und ich hab auch keinen Briten getötet«, fuhr er fort. »Um genau zu sein, mein einziges Opfer war eine griechische Kirche,
aber das ist eine lange Geschichte.«
Mehmet prustete los, und Loukis sah für einen kurzen Moment wieder etwas von dem Mann, den er einst gekannt hatte. »Na, solange
du dein militärisches Fachwissen nicht an unserer Moschee erprobst, bin ich mir sicher, dass es gut mit uns klappen wird.
Eine Kirche, sagst du? Ich kann es kaum erwarten, meiner kleinen Frau davon zu erzählen!«
Nachdem Mehmet mit Pembe gesprochen hatte, bot er Loukis schon am nächsten Morgen ein Stück Land in Sichtweite ihres eigenen
Hauses an; nicht, weil sie ihn im Blick haben
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