Schattentraeumer - Roman
Makarios-Anhänger
aufgenommen, nachdem sich Grivas aus seinem Exil äußerst abfällig über das Abkommen von 1960 geäußert hatte – es käme einem
Ausverkauf gleich, hatte er behauptet. Und da für die extrem Radikalen unter den EOKA-Anhängern keine andere Lösung als
enosis
in Frage kam, waren ehemalige Widerstandskämpfer inzwischen wieder dabei, die Städte und Dörfer mit Flugblättern zu überschwemmen.
»Abgesehen davon macht mir die augenblickliche Debatte um den Präsidenten zu schaffen.« Kyriakos schnalzte verdrießlich mit
der Zunge. »Es ist absurd, zu glauben, Makarios würde den
enosis
-Gedanken verraten. Er plant langfristig, das sieht doch ein Blinder. Die Menschen werden ihre Chance bekommen: Sie werden
zur Wahlurne gehen und für die Vereinigung mit dem Mutterland stimmen können.«
»Aber die Verträge enthalten Schutzklauseln sowohl gegen
enosis
als auch gegen
taksim
…«
»Ja, ja, aber es gibt einen Plan«, verriet Kyriakos. »Einen inoffiziellen Plan, versteht sich.«
»Erzähl weiter.«
Kyriakos rutschte auf seinem Stuhl nach vorn und lehnte sich weit über den Tisch. Er senkte die Stimme und blies Michalakis
seine Knoblauchfahne ins Gesicht. »Makarios ist dabei, stufenweise die übertriebenen Rechte aufzuheben, die den türkischen
Zyprern gewährt wurden, um so ihren Status auf den einer Minderheit herabzusetzen – was bedeutet, dass sie dann nur noch international
gängiges Minderheitenrecht genießen werden. Die erste Stufe seines Plans sieht vor, die Verfassung zu ›korri gieren ‹ … Mit Rückendeckung der internationalen Gemeinschaft, natürlich.«
»Das werden Küçük und seine Leute niemals zulassen.«
»Nein, davon gehen wir auch nicht aus. Die Türken sollen bewusst provoziert werden. Wenn sie daraufhin zu gewaltsamen Mitteln
greifen, muss Makarios als Staatsoberhaupt einschreitenund mit Hilfe der Streitkräfte für Recht und Ordnung sorgen. Sollten die dazu nicht in der Lage sein, übernehmen das die paramilitärischen
Einheiten. Und zwar mit der klaren Anweisung, so hart wie nötig durchzugreifen – wenn auch nur so hart, dass sich das türkische
Festland nicht einschaltet.«
»Großer Gott, das ist ein Spiel mit dem Feuer.«
Kyriakos schüttelte den Kopf. »Nicht, wenn wir den Verfassungsänderungen etwas Zeit geben, ihre Wirkung zu entfalten. Momentan
ist die Situation auf der Insel völlig festgefahren. Es geht keinen Schritt vor, keinen Schritt zurück. Nicht einmal auf die
Steuern können wir uns einigen, Herrgott noch mal! Die Regierung unserer Republik erstickt an Gesetzen, die ihr von Ausländern
auferlegt wurden. Es ist ein einziges Fiasko. So kann es nicht weitergehen. Auf nichts können sich die beiden Gruppen einigen,
und die Mehrheit kann die Minderheit nicht überstimmen wegen des Vetorechts, das Küçuk besitzt. Die Verträge haben dafür gesorgt,
dass griechische
und
türkische Streitkräfte auf unserem Boden stationiert sind; das Land, auf dem sich die beiden britischen Militärbasen befinden,
gilt nicht mehr als unser Eigentum. Unsere Regierung ist einfach unfähig! Kein Land der Welt würde solch aberwitzige Zustände
hinnehmen. Unsere einzige Hoffnung besteht darin, dass der Präsident genug politische Macht zurückgewinnt, um der Insel ihr
Recht auf Selbstbestimmung zu geben. Zugegeben, auf kurze Sicht wird das auf Kosten der Minderheit geschehen, doch letzten
Endes ist es zu unser aller Wohl.«
Selbst für das Freitagsgebet war die Moschee ungewöhnlich voll, und Mehmet war unbehaglich zumute. Ganz vorn, links neben
dem Imam, stand ein Mann, der ihm irgendwie bekannt vorkam, doch er wusste nicht, wo er sein Gesicht unterbringen sollte.
Er war gekleidet wie ein Städter, doch seine Stimme klang wie die eines Kämpfers.
»Brüder«, rief er zur Begrüßung und breitete seine Arme in Richtung der versammelten Männer aus, von denen einigekaum älter als dreizehn Jahre waren. »Ich wende mich heute in einer dringenden Angelegenheit an euch, und ich übertreibe nicht,
wenn ich sage, dass euer aller Leben von eurer Verschwiegenheit und eurem Ehrenwort abhängt. Denn das, was ich euch heute
zu sagen habe, darf die heiligen Mauern dieser Moschee nicht verlassen. Kein Wort dürft ihr darüber verlieren, weder zu Hause
noch an eurem Arbeitsplatz oder im Kaffeehaus. Und auch wenn ich es nicht gern tue, so schwöre ich auf den Heiligen Koran,
den ich hier in den Händen halte, dass jeder, der
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