Schattentraeumer - Roman
Elpida.«
Praxi wusste nicht mehr, wann genau sie beschlossen hatte, Yiannis zu vergiften. Der Plan war eines Tages wie aus dem Nichts
aufgetaucht. Ebenso wenig wusste sie, wie vieler Kerne es bedurfte, um Yiannis niederzustrecken, zumal er in den letzten Jahren
kräftig zugenommen hatte. Aber allein die kleine Handbewegung, mit der sie die Kerne aus dem Gehäuse in die Schüssel wandern
ließ, gab ihr Auftrieb und ihrem Leben neuenSinn. Mit einer unbeschreiblichen Ausdauer zerstieß sie diese Kerne in ihrer Phantasie stundenlang zu Pulver, das sie anschließend
in seine Fleisch- und Salatsoßen mischte oder auf seine Brote verteilte. Natürlich meldete sich bisweilen ihr Gewissen, wenn
sie in ihre Meuchelmord-Phantasien versunken war. Allerdings rührte ihr Unbehagen hauptsächlich daher, dass sie befürchtete,
ihr könnte letzten Endes der Mut fehlen, ein Verbrechen zu begehen. Denn ähnlich wie eine Scheidung war Mord eine Sünde gegen
Gott und die Gesellschaft, und Praxi zog es weder in die Hölle noch ins Gefängnis. Was sie also brauchte, war ein Wunder.
Unglücklicherweise leistete Gott den Abtrünnigen nur in den seltensten Fällen Beistand, was Praxi dazu veranlasst hatte –
zur großen, wenn auch nur vorübergehenden Erleichterung ihrer Mutter –, Hilfe in der Kirche zu suchen.
Wie der Priester dort so gern sagte: »Je näher der Mensch dem Licht kommt, desto erleuchteter wird er, je näher er dem Feuer
kommt, desto wärmer wird ihm, und je mehr er nach Frömmigkeit strebt, desto gläubiger wird er.« Angespornt von diesen Worten
gab sich Praxi mit Feuereifer dem Herrn hin, in der Hoffnung, er würde ihr wenigstens ein bisschen seiner Herrlichkeit, seiner
Wärme und seiner Heiligkeit zuteil werden lassen. Bedauerlicherweise gehorchten Praxis Lippen jedoch nur selten dem frommen
Anrufen des Herrn; so sehr sie sich auch bemühte, sich an den vorgegebenen Text zu halten, drehte sich in ihren Gebeten meist
alles um das vorzeitige Ableben ihres Mannes – sei es durch eine tödliche Krankheit oder durch einen Unfall. Alternativ könnte
ihn auch der Blitz treffen. Unzählige Kirchgänge später musste Praxi erkennen, dass Gott solches Flehen einer Sünderin vermutlich
niemals erhören würde. So kam es ihr recht gelegen, dass auch die Euphorie ihrer Mutter inzwischen abgeklungen war. Denn Praxi
ging derart häufig zur Kommunion, dass die übrige Gemeinde tuschelte, nur ein abscheuliches Verbrechen wie Mord oder Ehebruch
könnte der Grund für die ungewohnte Gottesfürchtigkeit derjungen Frau sein. Unmissverständlich ordnete Elena an, ihre Tochter möge die Kirchgänge wieder auf das übliche Minimum reduzieren
– was Praxi zurück an den Anfang katapultierte: zu einem Ehemann, den sie unter allen Umständen loswerden wollte.
Praxi konnte Yiannis nicht verlassen – undenkbar. Würde er wenigstens die Hand gegen sie erheben, wie es jeder andere Mann
tat, wenn ihm seine Frau untreu war. Dann hätte sie versuchen können, über ihre blauen Flecke einen Ausweg zu finden. Um wirklich
gehen zu können, wären natürlich auch ein paar schwerere Verletzungen erforderlich, der Verlust einiger Zähne, wenn nicht
gar eines Arms oder Beins. Aber Yiannis schlug sie nicht, er hob noch nicht einmal wirklich die Stimme, wenn er wütend war.
Also blieb einzig sein Ableben, um sie zu erlösen. Wenn Gott ihm doch nur eine schreckliche Krankheit schicken würde! Oder
einen Blitz in seinen Kürbisschädel einschlagen ließe! Niemand könnte sie für einen verfrühten Tod verantwortlich machen,
sie würde folglich nicht in Ungnade fallen und die vorwurfsvollen Blicke ihrer Tochter ertragen müssen. Je länger Praxi darüber
nachdachte, desto weniger konnte sie einen Haken an der Sache erkennen – Elpidas Tränen ausgenommen, aber auch die würden
mit der Zeit versiegen.
Doch Gott blieb weiterhin blind für das Leben, in dem Praxi lebendig begraben war. Zu ihrem Verdruss schien Yiannis außerdem
über die Konstitution eines Ochsen zu verfügen und verließ bei schlechtem Wetter nur äußerst selten das Haus.
Seufzend erhob sich Praxi vom Tisch und stellte die Schüssel in den Schrank, hinter die Gewürze und außer Reichweite ihrer
Tochter. Sie war kein herzloser Mensch, und sie hasste Yiannis auch nicht. Wenn überhaupt etwas, so war es Gleichgültigkeit,
die sie ihm gegenüber empfand. Nach beinahe sechs Ehejahren war das Gefühl von Dankbarkeit, das sie an ihn
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