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Schattentraeumer - Roman

Schattentraeumer - Roman

Titel: Schattentraeumer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Busfield
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sollte, weil seine Tochter seine kleine Cousine in Angst und Schrecken versetzte, kam dann
     aber zu dem Schluss, dass es Charakter bewies, und ließ es dabei bewenden.
    »Ich hatte heute Nacht wieder diesen Traum.« Elpida setzte sich neben Loukis auf die Felsen und begann seine rußgeschwärzten
     Lappen aneinanderzuknoten.
    »Welchen?«
    »Der, in dem die Wolken immer weiter zu mir runterkommen und sich dann so fest auf mein Gesicht drücken, dass ich keine Luft
     mehr bekomme.«
    »Und was hast du gemacht?«
    »Ich hab sie weggepustet – so, wie du es mir gesagt hast.«
    »Hat’s geklappt?«
    »Ja. Aber ich musste ganz schön fest pusten. Ich war total müde danach.«
    »Ja, diese Wolken können manchmal verflixt hartnäckig sein.«
    Loukis musste lächeln bei der Vorstellung, wie seine Tochter sich selbst wieder in den Schlaf pustete. Er konnte kaum glauben,
     dass er vor einem Jahr gedankenverloren auf gewundenen Feldwegen herumgeirrt war, weil er die Welt um sich herum nicht verstanden
     hatte. Während er nun hier in der gleichen Frühlingssonne saß, hatte sein Leben auf einmal einen Sinn, und alles drehte sich
     um ein kleines Mädchen, das nicht ganz acht, aber viel älter als sechs war.
    Obwohl sie Yiannis ihren »Papa« nannte, war es inzwischen Loukis, zu dem Elpida lief, wenn sie sich unterhalten wollte, wenn
     ihr langweilig war oder sie von Alpträumen geplagt wurde. Und am Weihnachtstag hatte sie mit Praxi die Economidous besucht
     und Loukis eine kleine, in goldenes Papier eingewickelte Schachtel überreicht. Darin lag auf einem Watteberg ein vollkommen
     glatter weißer Stein. Aufgeregt blinzelnd wartete Elpida auf seine Reaktion, und Loukis’ Blick sagte ihr alles, was sie wissen
     wollte.
    »Ein Kieselstein?«, fragte Praxi, als sie das Geschenk ihrer
    Tochter sah.
    »Das ist ein Mondstein, Mamma – ein Mondstein für einen Wolf.«
    Elpida zog ihre Strümpfe hoch und stand auf, um nach dem Stock zu sehen, den Loukis in den Boden gesteckt hatte.
    »Der Schatten ist fast weg«, sagte sie. »Ich sollte wohl nachHause gehen.
Yiayia
kocht
psito
, und heute Nachmittag besuche ich Papa.«
    Augenblicklich begann die Luft um Loukis herum zu gefrieren. Die Worte des Kindes holten ihn in eine Realität zurück, die
     er nur allzu gern verdrängte.
     
    Noch zwanzig Minuten zuvor hatte Michalakis vor einem der beliebtesten Cafés von Lefkosia in der prallen Frühlingssonne gesessen
     und sich Notizen gemacht. Nun rangelte er drinnen mit den anderen Gästen um einen Stuhl, nachdem alle von einem Platzregen
     überrascht worden waren. Wie sagte seine Mutter so gern: »Räum das Holz nie vor Ende Mai weg.«
    Kyriakos drängelte sich zu einem freien Tisch neben dem Spielautomaten durch und bestellte zwei Kaffee. Er hatte in den letzten
     Monaten stark abgenommen, seine Wangen wirkten geradezu eingefallen und die überschüssige Haut hing ihm in Falten schlaff
     im Gesicht herunter. Michalakis war sich nicht sicher, ob das den Forderungen seiner Frau zuzuschreiben war oder dem Druck
     in der Regierung. Zypern war im vergangenen Jahr nur einen Wimpernschlag von einem Krieg mit der Türkei entfernt gewesen,
     die insgesamt fünf Mal damit gedroht hatte, auf der Insel einzumarschieren. Nach neunmonatigen Kämpfen waren die beiden Gemeinschaften
     verfeindeter denn je, und insgesamt einhundertdrei türkisch-zyprische Dörfer waren zu Geisterstädten geworden. Auf beiden
     Seiten waren Menschen getötet worden, und auch wenn sich der Sturm inzwischen gelegt hatte, war die Situation weiterhin so
     unbeständig wie das Frühlingswetter – keine der beiden Seiten war einer Lösung auch nur einen einzigen Schritt näher gekommen.
    »Wir stehen am Rande eines politischen Abgrunds«, sagte Kyriakos wenig hoffnungsfroh. »Die Türkei lässt ihre Muskeln spielen,
     unsere Mutter Griechenland hat demonstriert, dass sie unfähig ist, Gleiches mit Gleichem zu vergelten, und unsere eigenen
     Streitkräfte werden von einem Mann angeführt, der den Präsidenten unverhohlen verachtet.«
    »Warum schickt Makarios General Grivas nicht einfach in die Wüste?«
    Kyriakos lachte bitter. »Und wie soll er das, bitte, anstellen? Grivas hat Griechenland im Rücken – und sämtliche Waffen der
     Insel unter seiner Kontrolle.«
    »Ja, so gesehen …« Michalakis schlürfte seinen Kaffee aus und blickte Kyriakos geradeheraus an. »Meinst du, du könntest für
     mich ein Treffen mit dem Präsidenten arrangieren?«
    »Bei dem Ruf, den

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