Schattenturm
hatte.«
»Ich dachte, Sie hätten aus dem Fenster gesehen, weil Sie einen Schrei gehört haben.«
»Nein. Ich habe bloß aus dem Fenster geschaut. Dann habe ich einen Schluck Tee getrunken, und als ich den Schrei hörte, habe ich noch einmal aus dem Fenster gesehen. Aber da waren die beiden verschwunden …« Sie zögerte. »Es könnte der junge Shaun Lucchesi gewesen sein, den ich gesehen habe.« Wieder hielt Mae inne und beugte sich zu Frank vor. »Können Sie sich an seine Mutter erinnern, als sie früher hier im Ort gewesen ist?«
Frank schüttelte den Kopf. »Damals habe ich noch nicht hier gewohnt.«
»Den Rock bis zum Hintern! Also wirklich. Ich habe sie niemals anständig gekleidet gesehen. Es hat mir fast das Herz gebrochen, dass mein John sich mit diesem Mädchen eingelassen hatte. Ich hätte sie nicht unter meinem Dach wohnen haben wollen.« Frank ließ Mae Miller reden, doch sie hatte nichts Interessantes mehr vorzubringen. Als sie aufstand, um zu gehen, hielt er ihr die Hand hin, doch Mae breitete die Arme aus und warf sich ihm an die Brust. Er löste sich höflich von ihr, legte ihr die Hände auf die Arme und schob sie zum Ausgang.
»Mein Gott«, murmelte er, als er die Tür hinter ihr schloss.
Joe betrat die Wache und fragte Richie, ob er mit Frank sprechen könne.
»Ich nehm’s an«, sagte Richie und stand auf. »Frank«, rief er. »Mr Lucchesi will dich sprechen.«
»Bleiben Sie ruhig hier, Richie, und hören Sie sich an, was ich zu sagen habe«, sagte Joe.
Frank kam in den Wachraum.
»Hallo, Frank. Es geht um die Sache, über die ich schon bei Danaher’s mit euch sprechen wollte«, sagte Joe. »Shaun hat Katie an dem Freitagabend, als sie verschwunden ist, eine weiße Rose geschenkt. Die habe ich auf dem Grab ihres Vaters gefunden. Deshalb nehme ich an, dass Katie die Church Road hinuntergegangen ist und unterwegs auf dem Friedhof angehalten hat, weil …«
»Das ist ja alles gut und schön, aber wir haben eine Zeugin, die etwas anderes behauptet«, sagte Frank und berichtete Joe von Mae Millers Aussage.
»Oh«, murmelte Joe. »Tut mir Leid. Das konnte ich nicht wissen. Danke, dass ihr mir zugehört habt.«
Sam Tallon arbeitete gern in den frühen Morgenstunden, wenn alle anderen noch schliefen. Er ging zum Leuchtturm und wollte die Tür aufschließen, als er feststellte, dass sie bereits geöffnet war. Er stieg die Stufen hinauf und blieb auf halber Höhe stehen, um Luft zu schnappen. Als er in den Laternenraum gelangte, sah er Anna, die bereits das feuchte Zeitungspapier vom Boden aufsammelte. »Ich konnte nicht mehr schlafen«, sagte sie, als sie Sams fragenden Blick sah.
»Klar. Der Mensch braucht nicht mehr als vier Stunden Schlaf, wenn Sie mich fragen«, sagte Sam. »Nun, dann will ich mal überprüfen, ob die alte Dame bald wieder leuchten wird.«
Joe nahm ein Brett vom Stapel neben der Werkbank und klemmte es mit zwei Zwingen fest. Mit einem Hobel bearbeitete er die Kanten. Anschließend löste er die Zwingen und warf das Brett zurück auf den Stapel.
Als er eine Gestalt in der Tür stehen sah, zuckte er zusammen.
»Martha!«, sagte er. »Hast du mir einen Schrecken eingejagt. Was kann ich für dich tun?«
»Ich frage mich, ob du bei der Suche nach Katie helfen könntest, Joe«, sagte sie. »Du hast doch Erfahrung in solchen Dingen.«
»Ja«, sagte Joe. »Aber …«
»Was ist deiner Meinung nach passiert?«
»Ich weiß es nicht, Martha. Ich bin nicht über alle Details im Bilde.«
»Du warst dabei, als die Polizei mich vernommen hat. Und ich habe dir in den letzten Tagen alles erzählt. Du weißt genauso viel wie ich … genauso viel, wie die Polizisten hier wissen.«
»Sie könnten mehr Informationen haben, als sie zugeben«, erwiderte Joe.
Martha senkte den Blick. »Kannst du denn nicht irgendetwas tun? Kannst du die Polizei nicht fragen, ob du ihnen offiziell helfen kannst?«
Joe lächelte. »Ich fürchte, da kann ich nichts machen. Sie wollen nicht, dass ich mich in die Ermittlungen einmische. Aber ich könnte mich umhören … hier und da ein paar Fragen stellen. Vielleicht finde ich heraus, dass irgendetwas nicht zusammenpasst. Natürlich ist es hier nicht so wie zu Hause, wo ich ganz andere Möglichkeiten hatte, und ich bin ja auch kein Polizist mehr …«
Martha nickte.
»Wenn du mich über alle neuen Informationen der Polizei auf dem Laufenden hältst, würde mir das helfen«, sagte Joe.
»Ist gut.« Martha schaute ihm in die Augen. »Und wenn Katie
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