Schattenwanderer
mir aus, stimmen wir ruhig ab«, willigte Semmel ein. »Soll den Formalitäten doch Genüge geleistet werden, andernfalls lassen gewisse Magier einen ja nicht arbeiten.«
»Nun gut«, Panarick ließ den Blick über die Anwesenden schweifen, »stimmen wir also ab. Wer ist dafür, Gebrauch vom Horn zu machen, um den Unaussprechlichen zu vernichten?«
»Ich bin dagegen«, erklärte Walder.
Ihm war durchaus bewusst, dass er keine Aussicht auf Erfolg hatte, denn ihm und Ilio auf der einen Seite standen die vier Übrigen gegenüber.
»Ich bin mir zwar nicht sicher, ob der Versuch glückt, aber ich vertraue Semmel vorbehaltlos«, sagte Elo und stellte das Horn auf das Postament, das in der Mitte des Spiegelbodens vorbereitet worden war. »Ich bin dafür.«
»Ich bin natürlich dafür. Man darf nicht auf die kleinmütigen Geister hören. Der Versuch wird glücken, die Bücher der Oger lügen nicht.« Semmel verbrannte Walder mit seinem Blick.
»Ich bin dagegen. Wir sollten warten, bis sich der Rat vollständig versammelt hat, und alles noch einmal genau durchgehen«, sagte Ilio.
Walder hatte nicht einen Augenblick an der Antwort seines alten Freundes gezweifelt.
»Ich bin ebenfalls dagegen«, verkündete O’Cart, woraufhin Walder erstaunt eine Augenbraue hochzog. Das gibt es doch nicht!, dachte er. Eher wird ein Ork zu einem friedlichen Ackersmann, als dass der Filänder mir beipflichtet!
»Man soll einen schlafenden Riesen nicht wecken! Der Unaussprechliche bereitet uns keinerlei Schwierigkeiten. Er hockt hinter den Nadeln des Frosts und tut niemandem etwas zuleide.«
Drei gegen zwei. Nun hing alles davon ab, wie Panarick sich entscheiden würde. Wäre er dafür, dann wären beide Seiten gleich stark. In dem Fall würde sich die Seite durchsetzen, die Panarick vertrat, schlicht und ergreifend weil er der Magister des Ordens war und seine Stimme mithin stärker ins Gewicht fiel.
»Semmels Argumente sind mehr als überzeugend«, erklärte das Oberhaupt des Ordens. »Ich bin dafür.«
Damit waren Walders Aussichten, den Wahnsinn Semmels noch aufzuhalten, zunichte gemacht worden.
»Bleib in der Nähe unseres Ogerologen«, flüsterte Walder Ilio zu. »Falls ein Unglück geschieht, gebiete Semmel Einhalt.«
Die Erzmagier stellten sich um den Spiegelboden auf, in dessen Mitte sich das Horn befand. Rechts neben Walder stand Elo, links O’Cart, ihm gegenüber Ilio, rechter Hand von diesem Semmel mit dem Buch, links Panarick. Ein brüchiger Kreis. Die Magier würden all ihr Können aufbringen müssen, damit Semmels Vorhaben von Erfolg gekrönt wurde.
»Was ist unsere Aufgabe?«, fragte der Elf.
»Gebt mir Kraft, öffnet euch und schickt eure Kraft ins Horn. Den Strom auf zwölf, den Schnitt auf acht, wenn ihr so freundlich sein wollt«, antwortete Semmel, während er in dem alten Buch blätterte.
»Das ist alles?«, fragte Ilio ungläubig.
»Den Rest erledige ich. Und los!«
Walder erinnerte sich noch aus seiner Lehrzeit an diese Aufforderung. Und los! Nach diesen Worten hatten sie sich sogleich zu konzentrieren und ihre Kraft heraufzubeschwören. Auch jetzt strömte Kraft durch den Erzmagier und ergoss sich in einem feinen Strom in das Horn. Walder spürte rechts von sich die azurblau-grüne Kraft Elos ins Horn fließen, die den Geruch nach frischem Laub verströmte und sich mit der feuerroten Kraft O’Carts und der purpurroten Walders vermengte. Das Horn leuchtete auf, das Licht, das von ihm ausging, wogte und wechselte unablässig die Farbe. Die feuerrote Flamme des Drachen wich der orangefarbenen Sonne, die nahtlos in einen gelben Herbst überging. Der verwandelte sich seinerseits in das grüne Blattwerk der Wälder Sialas, in den blauen Himmel eines frühen Lenzmorgens, dann in den azurblauen, abgrundtiefen Westlichen Ozean und abermals, ganz wie zu Beginn, in die rote, alles versengende Flamme eines Drachen. Wegen dieser unerklärlichen Eigenschaft, unter dem Einfluss einer fremden Magie in unterschiedlichen Farben zu leuchten, hieß das Artefakt das Horn des Regenbogens.
Alles verlief wie geplant, selbst das Schwindelgefühl, hervorgerufen von der andauernden Anwendung von Magie, blieb aus. Nur war das erst der Anfang.
»Verstärkt den Strom. Ilio, du leitest deine Kraft auf mich!« Semmels Stimme klang konzentriert.
Dem Magier stand nun der schwierigste Teil bevor, das, was nur zwei, drei Zauberer weltweit zustande brachten. Er musste den Schamanismus der Oger wecken, jene Magie, die sich nicht nur
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