Schattenwandler 01. Jacob
entschuldigend auf, weil sie unachtsam mit ihnen umgegangen war. Sie wischte mit der Hand den Staub von einem der Buchdeckel und las den Titel.
Zerstörung.
Sie erschauerte. Der unheilvolle Titel gefiel ihr ganz und gar nicht. Wieder einmal hielt sie einen Beweis dafür in der Hand, wie extrem die Gattung der Dämonen war. Sie richtete sich auf, um das Buch wieder an seinen Platz zu stellen, aber plötzlich hielt sie inne. Sie blinzelte verwirrt und starrte wieder auf den Titel.
Zerstörung.
Plötzlich spürte sie, wie ihr die Knie weich wurden, die Welt um sie herum begann sich zu drehen. Das Buch rutschte ihr aus den kraftlosen Fingern.
Sie hatte gerade den Titel eines Buches gelesen, das in einer Sprache geschrieben war, die sie noch vor zwanzig Minuten nicht verstanden hatte.
Noahs graugrüne Augen folgten Jacob, während der in seinem Empfangszimmer auf und ab ging. Die Verwirrung seines Vollstreckers zehrte an den Nerven des Dämonenkönigs.
Es war keine Frage, dass Jacob seine Gedanken nicht freiwillig teilen würde, und Noah konnte nur spekulieren. Jacob war das aufrichtigste, pflichtbewussteste und loyalste Wesen, dem er jemals begegnet war. Er war seinem Dämonendasein sogar treuer ergeben als mancher der Älteren. Sein Glaube an ihre Lebensart, ihre Gesetze und ihren Ehrenkodex war so unumstößlich, dass Noah ihn allein schon deswegen achtete. Und darum wühlte es Noah so auf, dass Jacob in einem derartigen Gewissenskonflikt gefangen war. Trotzdem bedrängte er den Vollstrecker nicht, so gern er es auch getan hätte. Stattdessen saß er einfach nur ruhig da, während der andere Dämon durch den Raum tigerte.
Dann wurden die beiden Männer gleichzeitig aus ihren Grübeleien gerissen, und sie sahen zur Tür, die in die große Halle führte. Drei Herzschläge später stürmten eine Schar Dämonen und ein betroffener Diener herein.
„Vergeben Sie mir, Sire, aber sie wollten sich nicht anmelden lassen. Sie haben sich einfach an mir vorbeigedrängt!“, keuchte der Diener mit hochrotem Kopf.
„Schon in Ordnung, Ezekiel“, sagte Noah und entließ den Mann mit einer sanften Handbewegung aus seiner Verantwortung. Dann richtete er seine Aufmerksamkeit auf die neun Dämonen, die auf ihn zukamen. Es waren die Älteren des Großen Rates, außer dem Kriegsherrn Elijah.
„Willkommen in meinem Haus, hohe Mitglieder des Rates.“ Er nickte ihnen zu und sah dann der offensichtlich selbst ernannten Anführerin entgegen. „Ruth, würde es dir etwas ausmachen, mir zu erklären, was euch so überfallartig zu mir führt?“
„Noah, wir haben erfahren, dass dir Ereignisse bekannt sind, die du dem Rat nicht mitgeteilt hast“, erklärte Ruth kühl und in fast vorwurfsvollem Ton. „Könntest du uns jetzt bitte unterrichten?“
„Wenn das in meiner Absicht läge, hätte ich euch selbst zu mir gerufen“, entgegnete Noah unmissverständlich und erinnerte sie damit daran, dass sie sich alle in keiner Weise an das Protokoll gehalten hatten. „Da ihr es aber auf euch genommen habt, euch zusammenzutun und hier zu erscheinen, will ich euch berichten, was sich ereignet hat.“
Noah erhob sich von seinem Sitz und ging von der Halle in den Versammlungsraum des Großen Rates. Angesichts dieser möglicherweise explosiven Entwicklung schob Jacob seine persönlichen Probleme beiseite und folgte ihm. Noah nahm seinen Platz an einer Spitze eines großen dreieckigen Tisches ein, Jacob an der zweiten und die anderen setzten sich ebenfalls auf ihre angestammten Plätze. Nur die dritte Spitze – neben Elijahs Stuhl – blieb genauso leer wie immer seit nunmehr acht Jahren. „Also gut, Ruth, was möchtest du wissen, was du nicht ohnehin schon weißt?“, eröffnete Noah das Gespräch, doch sein herablassender Ton brachte den weiblichen Dämon auf.
„Stimmt es, dass einer von uns abberufen und vernichtet worden ist?“ Ruth hatte, ganz ihrer Natur entsprechend, noch nie ein Blatt vor den Mund genommen.
„Ja. Das stimmt. Wir haben Saul verloren.“ Ein schmerzerfülltes Raunen erhob sich an den drei Seiten des Tisches. Noah warf Jacob einen Blick zu, doch die schwarzbraunen Augen des Vollstreckers wirkten kalt und undurchdringlich.
„Vollstrecker“, sagte Ruth, die sich stets weigerte, ihn bei seinem richtigen Namen zu nennen, „ich nehme an, du hast die Kreatur, die dafür verantwortlich ist, gejagt und getötet.“
„Der Nekromant trägt kein Glöckchen um den Hals, Rätin Ruth. Aber ja, ich jage ihn.“
„Du jagst
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