Schattenwandler 04. Damien
hast?“
„Hab ich nicht. Das wüsste ich.“
Sie beugte sich aus dem Fenster und sprang in ihrer menschlichen Gestalt hinaus. Sie waren hoch oben, sodass Damien das Gefühl hatte, das Herz springe ihm aus der Brust. Er rannte zum Fenster, umklammerte den Rahmen und hatte beinahe Angst hinauszuschauen. Doch er war im Leben nicht durch ängstliches Verhalten dorthin gekommen, wo er war, also blickte er ihr sofort hinterher.
Ihr stromlinienförmiger Körper hatte einen Bogen beschrieben und die Form eines Pfeils angenommen. Sie stürzte dem Grund entgegen, als wäre er Wasser und nicht harter Fels, und ihr langes marmoriertes Haar flatterte, als sie schließlich die Arme ausbreitete.
Im Bruchteil einer Sekunde verwandelte sie sich in eine Harpyie, und die Art, wie sie von ihrem tödlichen Sturz in einen eleganten Gleitflug überging, erinnerte eher an einen Engel als an ein feindseliges mythisches Wesen. Sie wirbelte herum und flog nun mit kräftigen Flügelschlägen wieder nach oben. Damien musste hastig zurückweichen, damit sie nicht mit den Köpfen zusammenstießen, als sie durch das Fenster schoss.
Das geschmeidige grauschwarze Gefieder schimmerte im Mondlicht, als sie wieder vorbeiflitzte. Er lächelte breit und lehnte sich weit aus dem Fenster, um sie dabei zu beobachten, wie sie in den Nachthimmel flog. Sie bewegte sich in der Luft so selbstverständlich, wie sie atmete. Er beneidete sie einen Moment lang um diese Leichtigkeit, doch dann schob er den Gedanken an seine beschränkten Fähigkeiten weg und verwandelte sich selbst in den Raben, um ihr folgen zu können.
Gerade als der Rabe das Gebäude verließ, veränderte seine Gefährtin die Gestalt erneut, diesmal in den Falken, der ihr so vertraut war. Nur war das Gefieder, an das sie gewöhnt waren, nicht mehr braun, sondern von dem dunkleren Farbton, den ihr neues Haar besaß. Ihr Rücken war braunschwarz gestreift, ihre Unterseite von einem weichen Dunkelgrau, und der Rest war schwarz.
Der Rabe und der Falke stürzten hinab und wendeten auf diese gespenstische synchrone Art, die den Vögeln eigen ist. Sie vorneweg und er hinterher. Es würde eine Weile dauern, bis er ihre Fähigkeiten hätte, doch er lernte schnell genug, um mit ihr mitzuhalten.
Syreena schoss zur Erde hinab und ließ sich von dem Aufwind weg von dem Berghang tragen, auf dem Damiens Anwesen errichtet worden war. Sie flog zum See, direkt vorbei an einem gezackten Felsvorsprung. Damien ahnte, was sie vorhatte, drehte die Schwingen so, dass er an Geschwindigkeit verlor, während sie genauso halsbrecherisch auf das Wasser zuschoss, wie sie sich aus dem Fenster gestürzt hatte.
Wieder verwandelte sie sich mitten im Flug.
Sie hatte die gummiartige Haut vermisst, die nun plötzlich ihren sich verwandelnden Körper überzog. Und die vollkommene, stromlinienförmige Gestalt ihres Delfinkörpers. Sie traf mit Höchstgeschwindigkeit auf dem Wasser auf, doch ihr eintauchender Körper verursachte nicht einen Spritzer. Der Delfin tauchte unter die Oberfläche wie ein grauer Blitz, so schnell, dass man die Bewegung im Flug nicht verfolgen konnte.
Damien ließ sich am Ufer des Sees nieder, verwandelte sich in seine natürliche Gestalt zurück und ging in die Hocke, wobei er sich mit einer Hand auf dem Boden abstützte. So konnte er sie besser beobachten, bis sie in den Tiefen des Wassers verschwand.
Kurz darauf tauchte sie wieder auf und kam als die Frau, an deren Anblick er gewöhnt war, an die Oberfläche, und ihr fröhliches Lachen entlockte ihm ein breites Grinsen.
„Es ist so lange her!“, erklärte sie. „Eine ganze Woche!“
„Hat sich etwas verändert? Abgesehen von der Färbung?“
„Ich bin mir sicher, aber ich weiß noch nicht, was.“
„Weißt du wirklich nicht, was ich denke?“, fragte er sie.
„Doch, ich weiß, aber es hat nichts mit Telepathie zu tun.“ Syreena hob eine Hand und winkte ihm kokett zu.
„Mmm, das Ergebnis ist so oder so gleich, also ist es mir ziemlich egal, wie es zustande kam“, sagte er zu ihr, während er aufstand und sich sogleich vom Ufer abstieß.
Sein Kopfsprung war präzise und geübt.
Als er wieder an die Oberfläche kam, keuchte er heftig.
„Stimmt“, sagte sie mit einem Fingerschnippen. „Es ist Winter, nicht?“
Damien fand das nicht witzig. Er schwamm zu ihr hin und packte sie am Arm, während sie mehr Energie darauf verwendete zu kichern, als sich von ihm zu befreien.
„Wetten, du spürst die Wassertemperatur gar
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