Schattenwandler 05. Noah
Hunger. Sie war zweiunddreißig. Es war ein starres, eintöniges Leben gewesen, in dem sie sich nur lebendig gefühlt hatte, wenn sie in Gefahr war.
Doch hier bot sich ein Feuerwerk an Gefühlen in Gestalt eines schönen Mannes, eines großartigen Liebhabers und einer guten Seele. Er würde ihren Körper auf tausenderlei Weise entflammen, sie konnte es an seinem auf einmal umwölkten Blick sehen. Seine Hand lag um einen Pfosten am Fuß des Bettes, die Fingerknöchel weiß und die Lippen vor Beherrschung zusammengepresst. Ehre. Edelmut in seiner höchsten Form.
Finde die Angst, Kestra, dachte sie bei sich. Wovor solltest du Angst haben? Wo ist die Gefahr? Lass dich nicht darauf ein, bevor du die Gefahr nicht kennst.
Sie hatte Angst, dass sie ihn nicht so lieben könnte, wie er es verdiente. Sie fürchtete die Gefahr, in die sie sich selbst und andere bringen konnte. Er hatte bewiesen, dass ihr Körper empfindungsfähig war. Konnte er das auch mit einem verschlossenen Herzen tun?
Noah kam um das Bett herum, fasste sie am Kinn und hob es an, bis sich ihre Blicke trafen. »In dieser einen Sache musst du mir vertrauen. Ich kann dir den Weg zeigen. Du denkst, du bist unfähig zu lieben, doch du tust so, als hättest du kein Leben gehabt, bevor du achtzehn warst. Du hast die Liebe deiner Eltern, deiner Freunde und deiner übrigen Familie verdrängt. Aber es hat sie einmal gegeben, Kes. Du hast geliebt.«
»Und sie haben deswegen gelitten. Ich habe deswegen gelitten«, sagte sie tonlos. »Ich will nicht lieben, nur um zu verlieren. Was, wenn …«
»Nein«, unterbrach er sie sofort. »Geh nicht an diesen Ort. Da gehörst du nicht hin. Du darfst nicht zweifeln. Du übst einfach, wirst sicherer, lernst und baust deine Fähigkeiten aus. Das hast du dein ganzes Erwachsenenleben lang getan. Du hast beschlossen, vor nichts Angst zu haben, außer vor der Liebe. Es ist an der Zeit, diese Grundsätze auch auf den Bereich anzuwenden, der dir Angst macht. Du schaust in dein Herz, erkennst seine Bedürfnisse, seine Neigungen, und alles, was du siehst, ist Gefahr.« Er beugte sich zu ihr hinunter und lächelte mit seinem sinnlichen Mund. »Spring, Kes. Spring einfach und vertraue deiner Intuition. Spring, breite die Arme aus und spüre den Rausch. Es ist unwiderstehlich, und es ist jede Sekunde wert.«
14
»Nun, der Trick bei den Dämonen besteht darin«, dozierte Cygnus wie ein Professor in Cambridge, »ihr Element zu kennen. Ideal ist es, sie sich tagsüber zu schnappen, wenn sie schlafen, allerdings ist das ein sehr schmerzhafter Weg.«
Die anderen kicherten, bis auf Cygnus’ Bruder. Quinton fand das nicht witzig. Widerstrebend musste er zugeben, dass Cygnus wirklich gut darin war, Schattenwandler zu jagen. Jeder von ihnen hatte jetzt zusätzlich zu seinen Vampireigenschaften solche von Mistralen und Schattenbewohnern. Sie waren überzeugt, dass sie sich ein paar von den schwächeren Dämonen vorknöpfen könnten. Einen Erwachsenen. Die Frauen hatten keine außergewöhnlichen Fähigkeiten, also mussten es Männer sein.
»Es gibt einen günstigen Umstand, den wir nicht außer Acht lassen dürfen. Samhain.« Cygnus grinste. »Das ist morgen. Ich habe für morgen etwas Tolles geplant, doch der heutige Abend hat es ebenfalls in sich und, na ja … sagen wir, da draußen laufen eine Menge geiler Dämonen herum. Man muss einen in diesem Zustand erwischen, und er hat keine Chance.« Er grinste gemeinsam mit den anderen. »Die Frage ist, welches Element wir wählen sollen.«
»Wir brauche keine Telepathie oder Heilkräfte.«
»Klammere Geist und Körper nicht aus. Geistdämonen können sich teleportieren, und Körperdämonen haben außerdem die Fähigkeit zur Astralprojektion. Aus diesen beiden Gründen besteht die Gefahr, dass wir entdeckt werden, wenn sie die Möglichkeit hätten, die anderen zu warnen. Ich würde einen Wasserdämon nehmen. Oder Wind. Beide haben Wetterfähigkeiten. Seine Gestalt in Nebel oder Wind zu verwandeln könnte ziemlich vorteilhaft sein. Erddämonen sind sogar schon in jungen Jahren gefährlich.«
»Kein Feuer?«
»Feuer«, überlegte Cygnus und warf sich in Pose, indem er sich nachdenklich ans Kinn tippte und dann ein hinterhältiges Lächeln aufsetzte. »Das heben wir uns für Samhain auf. Es gibt nur einen männlichen Feuerdämon. Den Dämonenkönig. Das wäre der ideale Zeitpunkt. Er wird allein sein. Das Schloss ist bis zum Ende der Feiertage verlassen. Ich denke, wenn wir uns heute Nacht
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