Schattenwandler 05. Noah
nicht etwas tun, was eine Bestrafung durch die Vollstrecker bedeutet hätte.« Sie stieß ein bitteres Lachen aus. »Ich nehme an, man hält mich für das kleinere Übel. Lieber mit einem Druidenpartner geschlagen sein, als die Vollstrecker am Hals zu haben.« Sie schüttelte den Kopf. »Ich verstehe das nicht! Als Menschen sehnen wir uns ein ganzes Leben lang nach dem seelenverwandten Partner, und die meisten kommen nicht einmal annähernd dahin. Wir sind verletzt und erschöpft, weil wir immer wieder scheitern. Und ihr habt durch mich das Instrumentarium, um ihn garantiert zu finden, und dann tut ihr so, als wenn es sich um einen Zahnarztbesuch oder um eine Krankheit handeln würde! Vielleicht kannst du mir das erklären, denn ich begreife es nicht.
Liege ich falsch, wenn ich sage, dass ihr alle mit Märchengeschichten groß geworden seid, in denen es um die wundersame Prägung geht?« Sie bemerkte, dass sie einen Nerv getroffen hatte, als der König sie nicht länger ansah und unbehaglich von einem Bein aufs andere trat. »Wenn mir plötzlich erzählt würde, dass Aschenputtel und Dornröschen wahr wären und dass es nur darum ginge, an eine bestimmte Tür zu klopfen, um meinen Märchenprinzen zu finden, würde ich mich doch augenblicklich auf den Weg machen.« Sie lächelte und wurde rot, als sie sich daran erinnerte, wie sie sich zum ersten Mal mit dem perfekten Mann verbinden wollte. Sie rief sich die unleugbare Sehnsucht nach Vereinigung mit Kane ins Gedächtnis. »Ich hatte noch nie etwas von der Prägung gehört«, sagte sie leidenschaftlich. »Es war nicht Teil meiner Volkskunde. Trotzdem habe ich sie mit großer Freude und Dankbarkeit angenommen. Warum können deine Leute das nicht?«
Der König antwortete nicht sofort auf die treffende Frage. Stattdessen blickte er sie direkt an und legte zwei Finger unter ihr Kinn und hob ihren Kopf, damit sie ihm in die Augen sah. Irgendwie gelang es Corrine, unter dem durchdringenden jadegrünen Blick ruhig und entspannt zu bleiben. Sie hatte keine Ahnung, was er zu ergründen suchte, doch sie nahm an, dass er es finden musste, bevor er antwortete.
»Du hast mich ganz schön in die Falle tappen lassen, was?«, warf er ihr ohne Groll vor.
Corrine versuchte nicht, die Unschuldige zu spielen.
»Noah, du bist der König und du bist ungebunden. Wenn du nicht zu mir kommst, wo du dich so offensichtlich danach sehnst, wo du es so offensichtlich brauchst, warum sollte einer von deinen Leuten es dann tun?«
»Bin ich so leicht zu durchschauen?«, fragte er, und seinem Tonfall konnte man seine Qual anmerken, während er die Hand reflexartig fest um ihr Kinn schloss.
»Ich würde sagen … seit dein Feldherr die Lykanthropenkönigin geheiratet hat. Er war der letzte Junggeselle in einer hohen Stellung aus deinem unmittelbaren Umfeld. Zuerst Jacob, dann Gideon und deine Schwester, und dann hat sich Elijah in Siena verliebt; das war kurz bevor du so griesgrämig geworden bist.«
»Verdammt«, fluchte Noah leise und ließ sie unvermittelt los. Er machte eine paar Schritte weg von ihr und fuhr sich erregt durch das Haar.
Plötzlich bemerkte Corrine die telepathische Anwesenheit ihres Gatten, der aufmerksam geworden war. Er war nicht einverstanden damit, wie Noah sich ihr gegenüber verhielt, doch sie wies ihn entschlossen ab und sagte ihm, er sollte sich um seinen eigenen Kram kümmern und das Gespräch mit Noah als privat ansehen. Kane respektierte ihren Wunsch, dem König Respekt zu erweisen, und zog sich erstaunlich rasch zurück.
»Du musst verstehen«, sagte Noah schließlich, während er aus dem Fenster starrte, »es ist ziemlich lange her, dass die Prägung ein Thema war und wir uns damit beschäftigen mussten. Jahrhundertelang war es so selten wie … wie …«
»Ein Schneeball in der Hölle?«, schlug sie vor.
Diesmal war Noah nicht zum Lachen zumute. Seine Finger schlossen sich zu einer Faust, die er gegen den Fensterrahmen presste. »Ach, die Hölle.« Er schüttelte den Kopf. »Die menschliche Vorstellung von der Hölle hat mich immer amüsiert, vor allem die Vorstellung, dass sie hauptsächlich von Dämonen besetzt sein soll. Ich muss zugeben, da ist was dran, Corrine. Ich schlafe jeden Tag bei Sonnenaufgang ein, aber ich finde keine Ruhe. Das liegt daran, dass ich meine persönliche Hölle aufsuche, wo Schönheit, Freude und befriedigende Gefühle immer genau außer Reichweite sind. Ich träume von ihr. Jedes Mal, wenn ich die Augen schließe, träume ich
Weitere Kostenlose Bücher