Schattenwandler 05. Noah
Hüfte dicht bei Noahs Hand. Sie tauschten Blicke, jedoch keine Gedanken. Das Prickeln hatte aufgehört, und sie spürte, dass er sich beruhigt hatte.
»Nun gut, Gentlemen, bringen wir es also hinter uns. Wir alle haben … bestimmte Termine und persönliche Verpflichtungen.« Noah hatte nicht vorgehabt, mitten im Satz innezuhalten.
Verdammt.
Er hatte das Wort Gefährtin absichtlich aus seinem Wortschatz gestrichen, um Kes vor den anderen nicht unter Druck zu setzen. Trotzdem war sie in ihrem sturen Kopf mit dieser blödsinnigen Vorstellung von einem Sexhäschen dahergekommen. Das hatte ihn wirklich in Wut versetzt. Nach ein paar aufgebrachten Minuten hatte er festgestellt, dass diese bedingungslose Zuneigung zu jemandem etwas war, was sie aus ihrer Kultur nicht kannte. Dämonen waren sehr offen, was ihre Partner und deren Rolle in ihrem Leben anging. Zeichen der Zuneigung und sogar unverblümte Anspielungen auf den Ort, wo sie nach Samhain enden würden, waren nichts Ungewöhnliches. Wenn Bella oder seine Schwester hier gewesen wären, hätten ihre Männer sie mit viel deutlicher zur Schau gestellter Liebe und Zuneigung im Arm gehalten. Es war einfach ihre Art. Eine Art, die, wie er sich vorzustellen versuchte, für Kestra völlig fremd war. Sie war Zuneigung nicht gewöhnt. Und sie hatte in ihren intimen Momenten schon ein großes Stück Distanz überwunden.
»Wir haben einen Bericht über die Vampirbande«, begann Elijah, sobald er die volle Aufmerksamkeit aller hatte, und sein sachlicher Tonfall wirkte nach dem lockeren und herzlichen Auftritt von vorhin geradezu einschüchternd. Kes war sich augenblicklich bewusst, dass die Position des Feldherrn einen viel stärkeren körperlichen Einsatz verlangte als etwa die eines amerikanischen Viersternegenerals. »Tristan hat Siena vom Tod eines jungen Schattenwandlers berichtet. Er ist mit aufgeschlitzter Kehle in einer Menschenstadt aufgefunden worden. Tristan sagte, die anschließende Untersuchung und die Autopsie hätten ein katastrophales Ergebnis gebracht. Diese Burschen haben die Schattenwandler bei den Menschen in einer Weise bloßgestellt, wie es noch nie vorgekommen ist.«
»Braucht Tristan Hilfe bei der Schadensbegrenzung?«
»Sein Emissär sagt, sie hätten alles unter Kontrolle, aber du weißt, wie so etwas läuft. Wenn Unschuldige involviert sind, kann man nicht einfach jeden umbringen, der ein paar verbotene Informationen besitzt.«
»Ein paar Geistdämonen könnten vielleicht helfen«, schlug Noah vor. »Sie könnten Erinnerungen im Kurzzeitgedächtnis löschen.«
»Tristan sagt, er kümmert sich darum.« Der Riese zuckte mit den breiten Schultern. »Du kannst es trotzdem anbieten.«
»Shala ist während der Feiertage nach Hause gefahren«, überlegte Noah und meinte damit die Botschafterin der Schattenbewohner. »Ich werde sie bitten, das Angebot zu unterbreiten, wenn sie morgen zurückkommt. Hoffentlich kann es dann überhaupt noch wirksam eingesetzt werden.« Noah wandte sich an Jacob. »Wie läuft es mit der Strafverfolgung?«
Kestra spürte den ironischen Unterton, in dem auch Schmerz mitschwang. Diesmal gab sie dem Impuls nach. Sie tauchte in Noahs Gedanken ein und fand etwas über die andere, unheimliche Seite der Heiligen Monde. Die Seite, wo ausgebrannte Höhlen nicht mehr genügten, wo alles außer Kontrolle war, wo Gesetze missachtet und die Moral über Bord geworfen und der Vollstrecker ausgesandt wurde, damit er das Gesetz gegen die eigenen Leute anwendete. Manchmal musste der Vollstrecker dabei sein Leben aufs Spiel setzen, um Unschuldige zu schützen, im Namen der königlichen Gesetze und auch im Sinne der Dämonen selbst, die gegen die Gesetze verstießen. Und dann die gerechte Strafe, die für Dämonen eine unaussprechliche Schmach war. Sie hatte bei früheren Streifzügen durch Noahs düstere Erinnerungen an die Heiligen Monde der letzten Jahre nur einen flüchtigen Eindruck erhaschen können von der ungeheuren Verantwortung und den handfesten Problemen, die das Eingreifen des Vollstreckers so notwendig machten.
Es gab noch weitere Informationen, eine Verbindung zu einem tieferen Verständnis vom Tod seines Vaters, doch sie wusste, dass er jeden Gedanken und jede Erinnerung, an die sie in ihm rührte, noch einmal durchlebte. Da sie sich nicht so unauffällig in seinem Geist bewegen konnte wie er in ihrem, wollte sie seinen Frieden nicht stören. Noahs Hand glitt vom Schreibtisch, um ihre Finger zu umschließen. Kestra spürte
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