Schattenwandler 05. Noah
eine ihrer neuen Fähigkeiten benutzte und dass das Messen einer Energie Teil dieser Fähigkeit war. Doch ich habe nicht geahnt, dass sie die Begabung hat, dir selbst eine noch unentdeckte Quelle in deinem Inneren zu erschließen.« Der König blickte zu Kestra hinüber. »Ich konnte mit ihrem Verstand nicht in Verbindung treten, während sie so tief mit dir in Verbindung stand.«
»Die Kommunikation zwischen euch ist noch neu. Und schon intensiver, als sie zu dem Zeitpunkt war, nehme ich an. Und damit kommen wir zu meinem eigentlichen Anliegen«, sagte Gideon leise. »Starke Kräfte erfordern mehr als nur starke Kontrolle, Noah. Sie erfordern, dass man sie durchschaut und damit umzugehen weiß. Würdest du einen Korken in den Krater eines Vulkans stecken und erwarten, dass sich die Kräfte nicht Bahn brechen? Hör auf, das, was du an dir selbst fürchtest, einfach nur zu kontrollieren. Bevor du keine Gelegenheit mehr hast, mit dir selbst so wissend und klug umzugehen, wie du es mit allem anderen tust. Und mach dir eines klar: Du hast jetzt deine Gefährtin, die dir hilft, und du hilfst ihr, aber lass nicht zu, dass sie an Dinge in dir rührt, die sie nicht verstehen kann, weil …«
»Weil ich sie selbst nicht verstehe«, beendete Noah den Satz leise und rieb sich den Nacken, wo sich die Muskeln vor Anspannung zusammengezogen hatten. Er blickte zu Kestra und Elijah und begegnete ihren atemberaubenden blauen Augen und einem besorgten Stirnrunzeln. Zum zweiten Mal an diesem Tag empfand er angesichts ihrer Anteilnahme Trost und lächelte ihr beruhigend zu. Noah blickte wieder zu Gideon. »Danke, Siddah«, sagte er und neigte respektvoll den Kopf vor seinem Mentor. Dem König kam ein Gedanke, der einen Schatten auf sein Gesicht warf. »Gideon, gibt es etwas, das du mir nicht sagen willst? Etwas, das ich wissen sollte?«
Gideon wusste, dass er nicht zögern und gleichzeitig aufrichtig klingen konnte. Er war niemand, der log, doch er würde auch niemals verraten, dass Legna ihn inständig gebeten hatte, Noah nicht die Wahrheit darüber zu sagen, wie tief er sie verletzt hatte. Also interpretierte er die Frage auf seine Weise, um allen gerecht zu werden.
»Ich glaube, ich habe dir alles gesagt, was ich dir sagen wollte«, sagte er leichthin. »Wenn du mich jetzt bitte entschuldigen würdest, deine Schwester verlangt dringend nach meiner Anwesenheit und auch nach der des Feldherrn auf Sienas Fest.«
»Ich werde euch dieses Jahr hier vermissen«, hörte Noah sich plötzlich sagen. Er schalt sich augenblicklich dafür. Feiertage hatten für ihn an Bedeutung verloren, seit seine engsten Freunde und Familienangehörigen über die Lande verstreut waren, um ihren Pflichten als Ehepartner und Botschafter nachzukommen, Pflichten, die zu übernehmen er selbst sie oft als König gebeten hatte. Er war entschlossen gewesen, seine Gefühle in diesem Punkt für sich zu behalten, um die anderen nicht in Konflikt mit ihrem sonstigen Leben zu bringen. »Aber nächstes Jahr«, fügte er rasch hinzu, »ist Seth älter, und ich werde vielleicht Gastgeber eines multikulturellen Samhain und Beltane sein und all meine Abgesandten und ihre ausländischen Freunde zu mir einladen.«
»Eine schöne Idee«, stimmte Gideon zu. »Auch wenn ich bezweifle, dass die scheuen Mistrale daran teilnehmen werden, sehe ich ansonsten nichts, was dagegen spräche. Ich vermute, die Zeit ist reif für solche Zusammenkünfte. Friede und Glück seien mit dir heute Abend, Noah«, sagte er zum Abschied und umfasste die Arme des Königs. »Legna und ich sind glücklich, dass du dein Glück in dieser Frau gefunden hast«, sagte er und nickte in Kestras Richtung. »Sie ist stark und intelligent. Eine passende Gefährtin für dich. Allerdings ist sie auf emotionaler Ebene ziemlich verängstigt. Das wird ein schwierige Phase für euch beide, und wir wünschen euch Glück und bieten euch jede erdenkliche Hilfe an.«
»Danke, mein Freund. Sag Legna und Seth, dass ich sie liebe und dass ich hoffe, sie bald zu sehen.«
»Sobald der Mond ein wenig abgenommen hat.« Gideon lächelte ungewohnt anzüglich. »Ich glaube, wir sollten hier nicht reinplatzen, bevor ihr euch besser miteinander vertraut gemacht habt.«
Noah lachte und entließ den Heiler mit einem Klaps auf die Schulter, bevor er sich Elijah zuwandte.
Kestra hatte den beiden Gesprächen gelauscht, zu denen sie selbst nicht viel beitragen musste. Elijah machte ein paar witzige Bemerkungen, mit denen er Noah aufzog
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