Schattenwandler 05. Noah
aus eigener Kraft.«
»Danke«, sagte sie und holte nochmals tief Atem. Sie legte ihre warme und tröstende Hand auf Noahs Schulter. Er setzte sich auf die angezogenen Beine, die zu Fäusten geballten Hände auf den Oberschenkeln, den dunklen Kopf gesenkt. »Noah, lass uns gehen und uns ausruhen.« Dann, etwas leiser, in der Hoffnung, dass nur er es hören könnte: »Du musst mich im Arm halten.«
Er blickte unvermittelt auf, und Kestra begegnete seinem Blick, und ihre Gedanken waren voller Bilder von ihnen, wie sie sich eng aneinanderschmiegten, Bilder von Geborgenheit und Zusammensein und von diesem schrecklichen Bedürfnis, das nur er stillen konnte.
Die Veränderung, die mit ihm vorging, war wundersam. Sein Missmut und seine Feindseligkeit verschwanden, und seine Züge erhellten sich angesichts der Gabe, an die sie ihn erinnert hatte.
Kestra und Noah sogen tief die kalte Nachtluft ein und atmeten zwei Wolken wieder aus. Dann blickte Noah zu den anderen. Er stand auf, half Kestra hoch und ging zu seiner Schwester und den Vollstreckern, die noch immer auf dem Waldboden saßen. Gideon ging ebenfalls hinüber, nahm Jacob seinen Sohn ab und prüfte, ob sein Körper warm genug war.
»Wie geht es dir, Bella?«, fragte Noah.
»Besser.« Sie zitterte unwillkürlich, und Noah fing einen bedeutungsvollen Blick von Legna auf. »Ich spüre noch immer, wie er in meinem Körper herumwabert. Die Verderbnis … Und so stark, Noah«, sie stieß den Atem aus, und ihre Augen begannen zu leuchten. »Du kannst dir nicht vorstellen, wie das war. Es war ein Schattenwandlercocktail, giftig, aber von einer Kraft, die nicht zu unterschätzen ist. Ich bin die Einzige … die Einzige, die diese Vampire aufhalten kann, falls sie vorhaben, das zum Einsatz zu bringen, was sie stehlen.« Ihre Augen schienen durchsichtig zu werden, als sie einen Moment lang vor sich hin murmelte, weshalb Jacob Legna einen besorgten Blick zuwarf.
»Sie ist überlastet«, sagte die Empathin in liebevollem Ton. »Es ist wie eine Überdosis, sowohl von Energie als auch vom Bösen. Die Energie hat sie zum größten Teil aufgelöst, aber die Verderbnis scheint sich in ihr festsetzen zu wollen. Sie wird schließlich gewinnen, weil ihre Psyche so gut und so rein ist, aber ich denke, es ist am besten, wenn ich euch nach Hause begleite. Sie wird so schneller wieder bei sich sein und Frieden finden.«
»Einverstanden«, sagte Jacob und hob seine Frau hoch, während sie in einen benommenen Zustand fiel. Die Gruppe sammelte sich bei Legna, doch die zögerte kurz, bevor sie zu ihrem Bruder sprach. »Komm etwas zur Ruhe heute Nacht, Noah.«
Sie verschwanden alle mit einem lauten Knall.
Kestra seufzte und fühlte sich plötzlich trotz ihres starken Begleiters allein in dem Wald.
»Ich muss dich ganz kurz verlassen, weil ich noch eine Kleinigkeit erledigen muss.« Er lächelte sie an und küsste sie auf den Mundwinkel.
Sie sah ihn davongehen, und auf einmal zitterte sie am ganzen Leib. Sie hatte nicht bemerkt, dass er sie mit seiner Körperwärme warmgehalten hatte. Oder mit seiner Energie. So oder so stand sie jetzt in einem lächerlich zerfetzten Kleid da und fragte sich, was sie sich beim Einkaufen eigentlich gedacht hatte. Sie verschränkte die Arme und sah zu, wie er in der Dunkelheit verschwand.
Nach ungefähr einer Minute gab es eine heftige Explosion, als wäre eine Bombe hochgegangen. Kestra bemerkte plötzlich, dass das, was von dem Vampir übrig geblieben war, von Noah ausgelöscht worden war. Sie verspürte weder Mitleid noch Gewissensbisse. Sie bewunderte sogar, wie wirkungsvoll seine Kräfte waren. Wie gern hätte sie diese Art von Sprengkraft in ihren Fingerspitzen. Ohne C4-Sprengstoff vom Schwarzmarkt benutzen zu müssen.
»Komm«, forderte er sie mit einem Winken auf, als er wieder zurückkam. »Wir sind beide müde und müssen uns ausruhen.«
Kestra trat erleichtert auf ihn zu und nahm seine Hand. Sie zögerte nicht, ihre Finger mit seinen zu verschränken, und sie spürte seine Erleichterung und Freude über diese intime Berührung.
Kestra schloss die Augen und ließ sich von ihm führen. Dann blieb sie unvermittelt stehen. So unvermittelt, dass ihrer beider Hände sich lösten. Er drehte sich um und blickte sie überrascht an.
»Ich … ich brauche Bewegung. Ich … brauche Bewegung.«
Das war das Einzige, was sie herausbrachte, bevor sie davonrannte. Noah blieb sprachlos und wie vor den Kopf geschlagen zurück. Nach der jüngsten Bedrohung
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