Schattenwandler 05. Noah
paar Stunden gebraucht, bis er ihr an die Wäsche gegangen war. Wahrscheinlich erinnerte er sich nicht einmal mehr daran. Jedenfalls machte er den Eindruck, als wäre er so ein Typ.
»Glaubst du wirklich, das mit der Distanz klappt jetzt besser, wo du nicht mehr auf der anderen Seite des Ozeans bist«, äffte sie ihn nach, noch hochmütiger, als er selbst geklungen hatte. »Also, jetzt klappt es jedenfalls, Freundchen!«
Kestra schlug auf den Sandsack ein wie wahnsinnig. Als sie erschöpft und schweißgebadet war, zog sie die Handschuhe aus und ließ sich schwer auf die Matten fallen. Normalerweise wurde sie nicht so schnell müde, also war sie vielleicht doch eine Woche außer Gefecht gesetzt gewesen war. Das war die einzige Erklärung.
Sie stand auf und nahm ihre Saftflasche mit, als sie zur Dusche schlurfte. Mit letzter Kraft zog sie die schweißnassen Sachen aus und öffnete die Wasserhähne. Das Wasser strömte aus drei verschiedenen Richtungen und hüllte sie in eine entspannende Wärme. Sie schloss die Augen, während sie sich mit steifen Armen an der Wand abstützte. Das Wasser war furchtbar heiß, doch es fühlte sich göttlich an, und das, obwohl sie unerklärlicherweise an ein paar Körperstellen einen Sonnenbrand hatte. Ihre Handflächen, Hüften und Brüste … alles gerötet. Doch es ließ schnell wieder nach und tat nicht weh.
Wenn sie nicht Angst gehabt hätte, einzuschlafen, wäre sie noch in die Sauna gegangen. Doch allein und müde war das gefährlich. Die Dusche musste genügen. Dampf drang in ihre Lungen und erschwerte jeden Atemzug. Hitze drang in jede Pore, und sie fühlte sich, als wollte sie noch mehr davon. Sie schloss die Augen und drehte das kalte Wasser ganz ab. Kestra stöhnte laut auf, weil es so brannte, doch einen Augenblick später schnurrte sie wohlig. Wenn sie unter diesem kochend heißen Wasserfall hätte einschlafen können, hätte sie das mit Vergnügen getan.
10
»Du siehst müde aus.«
Noah wandte den Blick ab von dem gleichmäßig knisternden Feuer und schaute sie an.
»Das bin ich auch«, gab er zu, weil er wusste, dass es sinnlos war, einen Geistdämon anflunkern zu wollen, und schon gar nicht seine scharfsinnige Schwester.
»Du musst schlafen und deine Energie wieder auffüllen. Mehr noch, du musst Kestra zurückholen und ihr sagen …«
Legna unterbrach sich, als Noah sich wieder abwandte, um ins Feuer zu starren, wobei er ein vage zustimmendes Geräusch machte, das nichts mit dem zu tun hatte, was sie sagte.
»Aber du tust es ja nicht, Noah.«
»Was?«, fragte er ungeduldig.
»Schlafen! Du schläfst nicht.«
»Magdelegna«, sagte er in dem warnenden Großer-Bruder-Ton, den sie nur zu gut kannte.
»Nenn mich nicht Magdelegna«, fuhr sie ihn an. »Ich verstehe ja, dass du nicht mit mir darüber reden willst, aber sei zumindest so höflich und gib zu, dass ich recht habe und dass du über irgendetwas beunruhigt bist.«
»Natürlich bin ich das, Legna! Meine Zukünftige rennt so schnell sie kann vor mir davon und wahrscheinlich wieder in eine Situation hinein, wo ihr irgendjemand eine Kugel in ihren kleinen Blondkopf jagen wird!«, fauchte er. »Du hast verdammt recht damit, dass ich beunruhigt bin!«
»Ich meinte deinen Schlaf, Noah. Etwas stört deine Fähigkeit, zu schlafen«, erwiderte sie leise auf seinen Ausbruch hin.
Noah fing sich wieder. Entschuldigend streckte er ihr die Hand hin, die sie bereitwillig ergriff. Es gab nichts, was er einer so liebevollen Person wie seiner Schwester nicht verzeihen würde, und dafür war er unendlich dankbar. Er war von lauter solchen Frauen umgeben, und das war seine Rettung, wie er wusste.
»Es tut mir leid. Mein Temperament …«
»Geht mit dir durch, weil du erschöpft bist«, fügte sie mit leiser Stimme hinzu, während sie sich neben seinen Stuhl kniete und seine Hand mit ihren Händen umschloss. »Du kannst nur für eine bestimmte Zeit Energie aus äußeren Quellen bilden. Und was noch schlimmer ist, Kestra braucht deine Energie. Reine, gesunde Energie. Sie braucht dich, und ich weiß, dass du sie brauchst. Noah, ich verstehe das nicht. Du lässt sie einfach gehen und folgst ihr nicht einmal. Sie wird krank werden, und es macht dich krank, wenn du daran denkst. Du wirst nicht schlafen …«
»Bist du wahnsinnig, Legna? Schlafen?« Er lachte so bitter, dass es ihr die Tränen in die Augen trieb. Das war nicht ihr unbeschwerter, stillvergnügter Bruder, und es traf sie tief, ihn so zu sehen. »Sie ist mir
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