Schattenwandler 05. Noah
zumindest. Als er ihren Geist losließ, atmeten beide schnell und heftig und blickten sich mit hungrigen Augen aus Silber an.
»Du versuchst mich abzulenken«, sagte sie schwer atmend, als er zu ihr trat und sie in die Arme schloss.
»Es ist schon fast Samhain. Selbst ohne den Heiligen Mond begehre ich dich mit jeder Stunde mehr«, flüsterte er ihr zu. »Aber es ist unmöglich, zu widerstehen, wenn er fast voll ist.«
»Gideon, du musst etwas tun. Versprich es mir. Wir müssen irgendwie helfen.«
»Schschsch …, mein Liebling«, beruhigte er sie und zog sie fest in die flirrende Wärme, die sein Körper verströmte. »Ich werde mit Jacob sprechen. Wenn jemand helfen kann, dann er.«
Am kommenden Samhain kannte Jacob seine Frau genau drei Jahre.
In dieser Zeit hatte Isabella eine bemerkenswerte Anpassungsfähigkeit bewiesen, wenn es um seine Kultur ging. Sie war so sehr Dämonin, wie jemand, der von außen kam, es nur werden konnte.
Sie begegnete veränderten Dämonen an jedem Heiligen Mond, der selbst Wesen mit strengsten moralischen Maßstäben dazu brachte, in einen gesetzlosen Zustand zu verfallen. Sie war Vollstreckerin, und das war ihre Aufgabe. Bella war jedem Einzelnen von ihnen mit Diplomatie, Sanftmut und Mitgefühl begegnet. Sie hatte verstanden. Sie hatte geholfen, sie mit ihrer versöhnlichen und unvoreingenommenen Art aus ihrem Wahnzustand zu befreien.
Später, nachdem die Strafe vollzogen war, tat sie etwas, was Jacob niemals getan hätte. Sie hatte Abend für Abend jeden Einzelnen aufgesucht, bis alle begriffen hatten, dass sie sie noch genau so sah wie zuvor, ohne Scham, ohne Vorbehalt. In ihrer Vorstellung hatten sie die Strafe verbüßt, es war vorbei, und sie war überzeugt, wie nur sie mit ihrem großen Herzen es sein konnte, dass diesen Dämonen so etwas nie wieder passieren würde. Und sie sorgte dafür, dass sie wussten, wie sehr sie ihnen vertraute.
Doch so hartnäckig, wie sie in diesen freundlichen Situationen war, so störrisch konnte sie, wie Jacob feststellen musste, auch bei negativen Gefühlen sein. Er hatte schon vorher erlebt, wie sie auf einem Standpunkt beharren konnte, also war er mit den Anzeichen dafür recht vertraut, doch hätte er nicht gedacht, dass Noah irgendwann ein Thema sein würde.
Sie hatte Jacob aus ihren gemeinsamen Gedanken ausgeschlossen, und es hatte ihn geschockt, dass sie dazu in der Lage war. Er hatte das noch nie erlebt, und sie hatte nie eine Andeutung gemacht, dass sie es konnte. Sie hatten alle Gedanken geteilt und stets Zwiesprache gehalten – seit dem Moment, als sie zum ersten Mal in vollständigen telepathischen Sätzen miteinander gesprochen hatten. Jetzt war da nur noch Luft, so als hätte man ihm eine Gehirnhälfte herausoperiert. Er fühlte sich verloren und manchmal verwirrt und aus dem Gleichgewicht ohne seine andere Hälfte. Der Schmerz war unaussprechlich. Isabella versuchte absichtlich, ihm wehzutun, und es gelang ihr auch.
Zum ersten Mal kommunizierten sie überhaupt nicht mehr miteinander. Sie brachte es nicht einmal mehr über sich, über ganz alltägliche Dinge zu reden. Sie sprach nicht mit ihm, nicht mit Leah, mit niemandem. Nicht ein einziges Wort, und ihre Lippen waren zusammengepresst, als ob sie Angst hätte, sie würden ihrem Befehl, zu schweigen, nicht gehorchen. Jacob vermutete, dass sie Angst hatte, sie würde alles vergeben, wenn sie erst einmal angefangen hatte, und sie war entschlossen, es nicht zu tun.
Jacob war deswegen nicht übermäßig besorgt. Bella war nur so stark und so eigensinnig. Vorerst konnte sie ihn aus allem ausschließen, sich ihm verweigern, sich ihren Bedürfnissen als Paar verweigern. Das würde noch genau zwei Tage so weitergehen. Dann war Samhain, und alles würde schlagartig aufhören. Es ging ihm dabei auch nicht um den Sex. Es ging ihm darum, dass sie dann ihre Gefühle nicht mehr zurückhalten konnte, weil sie gezwungen war, Freude und Lust bei seinen Berührungen zu verspüren. Der Damm würde brechen, und dann würde der Rest von allein kommen. Er wusste das, weil er sie kannte. Sie war die andere Hälfte seines Herzens, seines Geistes.
In der Zwischenzeit war er wie immer mit der Erfüllung seiner Pflichten beschäftigt, weil die Mondphase zu einer Zunahme von Regelverstößen unter den Dämonen führte. Isabella blieb mit ihrem Kind zu Hause und verlangte nicht nach weiterer Gesellschaft. Sie wollte keine Dämonen in der Nähe des Babys für den Fall, dass etwas passierte. Keine
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