Schattenwandler: Kane (German Edition)
nicht so weit gehen, aber du hast mir keine Wahl gelassen.“
„Keine Wahl?“ Sie hörte ihre gehauchten Worte selbst kaum. Sie war so außer Atem und so ungeheuer müde, dass sie es nicht einmal schaffte, richtig wütend zu werden. „Wie wäre es, wenn du mich einfach in Ruhe lässt und mich selbst entscheiden lässt, was ich tue! Du hattest kein Recht –“
„Ich hatte sehr wohl ein Recht!“, brüllte er plötzlich ganz nah an ihrem Gesicht. „Und wenn du nur mal fünf Minuten still sein und mir zuhören würdest, dann würdest du es auch verstehen!“
„Ach ja?“, zischte sie und zog sich ein Stück an ihm hoch, sodass sie mit der Nase fast zusammenstießen. „Na dann fang mal an. Erklär mir, warum du angekettet bist wie ein tollwütiger Hund und warum du meinst, dass es lebenswichtig für mich ist, bei dir zu bleiben! Ich höre!“
Kane holte tief Luft. Er war gereizt und verlor langsam die Geduld. Am liebsten hätte er ihr die Wahrheit gnadenlos direkt vor die Füße gespuckt. Sein Verstand war völlig geblendet von den Gefühlen, die er für sie hegte, doch sie begriff rein gar nichts. Er hätte sie zugegebenermaßen vielleicht lieber nicht dazu zwingen sollen, sich Haut an Haut auf ihm zusammenzurollen, aber er konnte der Versuchung nicht widerstehen, denn er brauchte ihre Nähe so sehr. Sie zu spüren, sie zu riechen, war trotz der neuen Qualen, die es für ihn bedeutete, auch ungemein tröstlich. Es machte Kane wütend, dass Corinne so schlecht über ihn dachte und dass sie geglaubt hatte, er habe die Situation ausgenutzt, um sie seinen sexuellen Bedürfnissen zu unterwerfen. Allerdings ließ sich nicht leugnen, dass ihm die Idee tatsächlich auch selbst ein paar Mal gekommen war.
Kane wandte den Kopf ab und presste die Stirn gegen seinen Bizeps. Corinne konnte sein Gesicht nicht mehr sehen, doch sie fühlte sich lebendig von der Energie, die direkt von seinem Körper in sie hineinzustrahlen schien. Es prickelte auf der Haut und hinterließ einen seltsamen Geschmack auf der Zunge. Außerdem milderte es ein wenig die abgrundtiefe Erschöpfung, fühlte sich sogar erfrischend an. Langsam verschwand die lähmende Müdigkeit, und ihr Wahrnehmungsvermögen schärfte sich wieder. Wieder bemerkte sie, wie sehr er litt. Sie spürte, dass seine körperlichen Schmerzen sich auf die wunden Stellen konzentrierten, an denen die Eisenbänder sich um seine Gliedmaßen schlossen, doch da war noch mehr, ein ganzer Ozean aus Schmerz, der ihn von Kopf bis Fuß zu durchdringen schien.
Sie setzte sich so weit auf, wie sie konnte, legte die Handflächen auf seine Brust und ließ den Blick über seinen Körper wandern. Sein dunkles Haar war feucht und kringelte sich in wirren Locken. Unter seiner dunklen Haut, die ebenso schweißnass war wie ihre, zeichneten sich die Venen und Adern scharf ab.
Corinne räusperte sich. Egal, was Kane auch immer sein mochte, es ging ihm offensichtlich sehr schlecht – und als sie das erkannte, verrauchte ihre Wut auf ihn.
„Erklär mir, was hier vorgeht“, bat sie diesmal sanfter. „Warum wirst du gefangen gehalten? Warum willst du nicht, dass ich jemanden hole, der dich befreit? Du lieber Himmel, ich seh dir doch an, dass du Schmerzen hast. Warum lässt du nicht zu, dass ich dir helfe?“
Kane blickte sie an. In seinen klaren blauen Augen brodelten Gefühle, zu denen sie keinen Zugang hatte – außer er entschied, sie mit ihr zu teilen.
„Man hält mich hier fest“, er riss an den Ketten, „weil ich momentan nicht Herr meiner selbst bin. Der Schmerz ist nur vorübergehend, er wird wieder verschwinden.“ Corinne bemerkte, dass er kurz die Zähne aufeinanderbiss. „Du musst nur eine Sache begreifen, okay?“ Er wartete ab, bis sie zustimmend nickte. „Zwischen dir und mir gibt es eine ganz besondere … Chemie. In dem Augenblick, als wir beide miteinander in Verbindung getreten sind, ist etwas mit uns passiert. Es hat uns in symbiotische Wesen verwandelt. Das heißt –“
„Ich weiß, was symbiotisch heißt“, unterbrach sie ihn scharf.
„Das ist mir auch klar“, seufzte er. „Ich wollte sagen, das heißt, dass wir voneinander abhängig sind. Du bist krank geworden, Corinne, weil ich nicht da war, um dir zu helfen. Du wärst deswegen fast gestorben. Jetzt bist du geschwächt, und dein Körper funktioniert nicht richtig. Bis vor Kurzem warst du sogar noch im Koma, und wenn du nicht in meiner Nähe bleibst, wird das wieder passieren.“
„Moment mal
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