Schattenwende
ablegen und sich mit ihren Fähigkeiten vertraut machen. Beide könnten viel voneinander lernen. Zwar war er sich noch nicht schlüssig darüber, ob und wann er Daphne die vollständige Wahrheit über sein Vampirdasein und ihre Bestimmung offenbaren sollte. Aber wenn er es tat, wenn er ihr von seinem Leben erzählen sollte, musste Daphne den ihr bestimmten Platz darin einnehmen.
„Das habe ich mir schon gedacht.“
Daphne wickelte geistesabwesend eine Haarsträhne um ihren Finger. Eine einfache Geste, die Reagan bezaubernd fand.
„Wo lebst du, Reagan?“
Nun wurde es brisant. Niemand durfte den Wohnort der Gemeinschaft erfahren, außer, er war ein Mitglied oder sehr eng mit den Krieger verbunden. Selbst die vampirische Bevölkerung wusste nicht, wo die Shadowfall sich aufhielten.
Die meisten vermuteten ein abgelegenes Versteck, irgendwo im Wald oder in unterirdischen Höhlen. Aus diesem Grund hatte Reagan die Villa mitten in der Stadt ausgewählt. Niemand würde auf die Idee kommen, in einem derart öffentlichen Gebiet nach ihnen zu suchen.
Selbst die Organisation nicht.
„Psst.“ Er legte ihr lächelnd einen Finger auf die Lippen und brachte sie zum Verstummen.
„Das erfährst du vielleicht ein anderes Mal.“
Sie drehte ihren Kopf zur Seite und eine zarte Röte zierte ihre Wangen bei dieser intimen Berührung.
„Aber wie kann ich dich dann erreichen?“
Reagan ließ seinen Finger über ihre Lippen hinab zu ihrem Hals wandern und ließ ihn auf ihrer regelmäßig pochenden Halsschlagader ruhen.
„Willst du mich denn erreichen?“
„Ja.“ Sie stockte. „Vielleicht.“
Ein selbstzufriedenes Lächeln erhellte sein sonst so hartes Gesicht und ließ es so anziehend wirken, dass sie schlucken musste. Auch wennDaphne diesen Mann nicht halb so gut kannte wie es sein sollte, fühlte sie sich auf eine unwiderstehliche Art zu ihm hingezogen. Einzig ihr Verstand half ihr noch, die nötige Distanz zu wahren. Dennoch konnte sie die Verbundenheit, die zwischen ihnen existierte, nicht leugnen.
„Ich gebe dir meine Handynummer. Darüber kannst du mich immer kontaktieren, wenn du das Verlangen danach verspürst.“
Sie blickte auf ihre Hände hinab, als sich ein kleines Stück Papier zwischen ihre Finger schob.
„Und wenn du mich brauchen solltest, zögere nicht, mich anzurufen, ja?“
„Okay. Danke.“
Daphne wusste nicht, was sie sagen sollte, sondern starrte mit gesenktem Kopf auf den Zettel in ihrer Hand. Ein Gedanke schoss ihr durch den Kopf und eine plötzliche Sehnsucht zerriss ihren Brustkorb.
„Reagan?“
Ihre dunklen Augen betrachteten seine breite Gestalt, die selbst in kniender Stellung noch größer war als ihre, die auf der Sofalehne da saß.
„Darf ich … darf ich dich berühren?“
Sie musste den nagenden Zweifel in ihr ein für alle Mal besiegen, musste herausfinden, ob er nicht mit ihr spielte oder sie belog. Um das herauszufinden, gab es nur einen Weg.
Er gab einen überraschten Laut von sich, näherte sich ihr aber bereitwillig.
Langsam, ganz langsam streckte sie ihre Hand aus und ließ sie einige Millimeter vor seiner Brust in der Luft schweben.
Daphne holte tief Luft und ließ ihre mentalen Barrieren fallen, die sie vor dem wilden Fluss der menschlichen Emotionen schützten. Unwillkürlich stürzten Wortfetzen, Bilder und Gedanken auf sie ein, ließen ihren zierlichen Körper unter der Macht des Aufpralls schwanken.
Es war lange her, dass sie ihren Schutzwall das letzte Mal bewusst gelöst hatte.
Reagan musste ihren stummen Kampf gespürt haben, denn er überwand die winzige geistige Entfernung zwischen ihnen und berührte mit seinen Fingerspitzen ihre. Sofort umspülte eine angenehme Wärme ihre Seele. All die fremden Eindrücke drangen nicht mehr zu ihr durch, so, als würdeReagans Stärke sie umhüllen und in Sicherheit bringen. Behutsam drang sie in seinen lebendig pulsierenden Geist ein, tauchte in den Strom seiner Gedanken. Sie spürte den gleichen zehrenden Hass, der auch Dwight erfüllt hatte. Spürte einen so mächtigen Zorn, dass sie unter dessen Wucht taumelte. Doch die Bösartigkeit, die von Dwight ausgegangen war, fehlte. Alles, was durch sein Wesen floss, bestand aus Macht, Kraft und felsenfestem Willen. Und wie sie erstaunt feststellte, war er geprägt von einem unerschütterlichen Ehrgefühl. Reagan mochte gefährlich, unglaublich stark und voller Wut sein.
Aber er war nicht falsch. Und nicht böse.
Reagan war verblüfft, dass sich Daphnes Eindringen
Weitere Kostenlose Bücher