Schatz, schmeckts dir nicht
Diane schien sich für diese Probleme nicht sonderlich zu interessieren und erkundigte sich nach den Kindern.
»Unsere hoffnungsvollen Sprösslinge wirst du gleich selbst begrüßen können. Ich habe sie extra beschworen, zum Essen heute pünktlich zu sein, und eigentlich müssten sie jede Sekunde eintreffen.« Wie zur Bestätigung ihrer Worte hörte man einen Schlüssel im Schloss und kurz darauf kam Peer ins Zimmer.
»Hi!« Er hob kurz die Hand und fragte dann seine Mutter:
»Wann gibt’s Essen?«
»Essen gibt’s, wenn auch deine liebe Schwester eingetroffen ist. Aber willst du dich nicht erst mal vorstellen und unseren Gast richtig begrüßen?«
Ohne ein Zeichen von Verlegenheit ging Peer sofort zu Diane, streckte ihr die Hand entgegen und sagte: »Hallo, ich bin Peer.«
Leicht verunsichert gab Diane ihm die Hand. »Grüß dich, Peer. Ich bin Diane.«
Peer nahm die Vorstellung ohne erkennbares Interesse hin, bat seine Mutter, ihn zu rufen, wenn es mit dem Essen losgehen sollte, und trottete in sein Zimmer. Wie bei einigen ihrer kinderlosen Freundinnen, beobachtete Helene auch bei Diane eine gewisse Ratlosigkeit gegenüber dieser coolen, jugendlichen Selbstsicherheit, die nicht einen Funken Interesse an Freunden oder Bekannten aus der Generation ihrer Eltern signalisierte. Auch dann nicht, wenn diese Personen sich gerade aufgrund ihrer Kinderlosigkeit für besonders jung geblieben hielten.
Einerseits freute sich Helene darüber, dass sie Diane die Erfahrung eines Lebens mit Kindern voraus hatte, andererseits hätte sie auch gerne mit wohlerzogenen, charmanten Sprösslingen renommiert. Doch gerade dann, wenn dazu Gelegenheit gewesen wäre, machten ihr die lieben Kinder einen Strich durch die Rechnung. So wie jetzt auch wieder Janina, die trotz der Ermahnung, pünktlich zu sein, noch nicht eingetroffen war. Nur nicht nervös werden!
»Ich denke, wir sollten jetzt mit dem Essen beginnen. Wer weiß, wann unser Fräulein Tochter hier auftaucht. Lasst uns zum Esstisch drüben wechseln.«
»Oh, wie ist der Tisch festlich und fein! Hätte ich das gewusst, dann wäre ich auch nicht in diesen alten Klamotten gekommen!« Diane übertrieb natürlich schamlos. Zu einem langen, schwarzen Samtrock trug sie einen Kittel aus sehr weich aussehendem, fast weißem Leder und ebensolche Stiefel, beides mit indianischen Symbolen bestickt. Bestimmt ein Geschenk von ihren Indianerfreunden, dachte Helene und fragte lieber nicht nach. Am linken Arm klingelten bei jeder Bewegung leise mindestens zehn dünne, silberne Armreifen und die kastanienrote Haarpracht hielt sie mit einem passenden Silberreif aus der Stirn. Sie sah wie immer phantastisch aus.
»Diane, du bist genau richtig angezogen!«
Seit wann machte sich Jan über die Kleiderordnung Gedanken? Keine Zeit, jetzt darüber nachzugrübeln. Helene ließ die beiden an der in Weiß, Gelb und Grün strahlenden Tafel zurück und wies Jan an, sich um die Getränke zu kümmern und die Kerzen anzuzünden.
In der Küche holte sie das warme Vollkornbaguette aus dem Herd, schnitt es in duftende Scheiben und arrangierte diese im bereitgestellten Brotkorb. Trotz einer sie plötzlich erfassenden, inneren Erregung machte sie sich hochkonzentriert an die Fertigstellung der Vorspeise. Sie rührte die Vinaigrette noch einmal gründlich durch, goss erst den Inhalt des großen Gefäßes über vier Teller und den Inhalt des Schraubgläschens über den fünften, den sie durch die besondere Lage eines Radicchioblattes gekennzeichnet hatte. Das Schraubgläschen und den verwendeten Löffel spülte sie wieder gründlich ab. Nun noch die Parmesanstreifen verteilt und vom Rest der gehackten Kräuter darüber gestreut – fertig! Sie nahm den Brotkorb und die bereitgestellte, goldgelbe Rohmilchbutter und rief auf dem Weg zum Tisch noch kurz in Richtung Peers Zimmer, dass es nun endlich Essen gebe.
Mittlerweile spürte sie eine fast unerträgliche Spannung in sich wachsen. Gleich würde die Variation von Blattsalaten unter Kräutervinaigrette ihre Premiere haben.
Da, das Telefon. Jetzt klingelte das Telefon! Da sie ohnehin gerade daran vorbeiging, nahm sie den Hörer ab und meldete sich unwirsch mit ihrem Namen.
»Hallo Kind! Hier ist Mutter! Ich wollte euch, auch von Harry, schöne Ostern wünschen!«
»Mutter!«
Obwohl ihre Mutter ständig zu unmöglichen Zeiten anrief und sich davon auch nicht abbringen ließ, schien Helene noch nie ein Anruf unpassender gewesen zu sein als just in diesem
Weitere Kostenlose Bücher