Schatz, schmeckts dir nicht
aufdringliche weibliche Wesen hartnäckig versuchten, ihn zu umgarnen. Schließlich war er sonst von hoher Intelligenz, besaß eine schnelle Auffassungsgabe, konnte perfekt planen, organisieren und war in seinem Job ein As. Für die wirklich wichtigen Dinge im Leben spielten diese Eigenschaften jedoch eine untergeordnete Rolle, wie sie im Laufe ihres Zusammenlebens erfahren hatte.
Als sich hinter Jan die Tür geschlossen hatte, räumte sie als Erstes den Frühstückstisch ab und nahm sich dann den Zettel vor, auf dem sie das Konzept für den heutigen Abend festgehalten hatte. Draußen fegten heftige Windböen übers Dach und rüttelten energisch an der Terrassentür. Der Himmel war grau und verhangen, das Thermometer zeigte fünf Grad plus – da hatte man an den österlichen Kaffeetafeln im Lande wieder ein Thema. Ihr war das Wetter heute ziemlich egal. Sie goss sich noch eine Tasse Tee ein und überlegte kurz, was in welcher Reihenfolge zu tun war: Erst wollte sie den Tisch decken und dekorieren, nicht zu bombastisch, dem kleinen, familiären Kreis angemessen. Dann würde sie den Nachtisch bereiten, eine Erdbeerspeise mit Mascarpone, und als Nächstes die Hauptspeise, weiße Lasagne mit grünem Spargel. Die Vorspeise wollte Helene ganz zum Schluss anrichten, damit sie schön frisch auf den Tisch käme. Außerdem musste sie sich noch um die Getränke kümmern und Musik aussuchen. Es war jetzt ein Uhr mittags und sie begann, in aller Ruhe einen Punkt nach dem anderen abzuhaken.
Wie gewohnt gingen Helene alle Vorrichtungen routiniert von der Hand, und schließlich harrte nur noch die eine Aufgabe auf sie: das Entrée – der Richtung weisende Auftakt eines jeden großen Menus. Frühlingshaft inspiriert und angeleitet durch das kleine Büchlein, das sie bei dem alten Mann erstanden hatte, war ihre Wahl auf eine Blattsalatvariation mit Kräutervinaigrette unter Parmesanstreifen gefallen. Natürlich hatte sie das Rezept aus ›Gegen alles ist ein Kraut gewachsen‹ der modernen Zeit anpassen müssen. Die Küche war heute wesentlich leichter und gleichzeitig phantasievoller als damals. Aber sie hielt sich streng an den Hinweis, Salate mit starken Bitterstoffen zu verwenden und Würzkräuter mit einem intensiven Duft. Erstere heben den Appetit und lassen andere bittere Ingredienzien nicht auffallen, und Letztere überdecken eventuell auftretende, unangenehme Gerüche.
Liebevoll arrangierte Helene auf fünf tiefen Tellern ihres schlicht weißen Porzellans die geputzten und gewaschenen Salatblätter: Strahlenförmig den Chicoree und den Feldsalat, in der Mitte auf dem Boden den dunkelroten Radicchio, darüber fein zerzupft Eichblatt, Frisée und Batavia. Sie hobelte lange Streifen von einem wunderbar kräftigen, jungen Parmesan, dessen Duft ihr das Wasser im Munde zusammenlaufen ließ. Im Originalrezept hatte man noch hart gekochte Eier verwendet. Doch das fand Helene zu ordinär und außerdem stritt man in Vegetarierkreisen über die Korrektheit des Eierverzehrs. Sie konnte nicht einschätzen, ob ihr hoher Gast dann womöglich das Essen verweigern würde. Und das wäre ja wirklich zu schade, wo sie sich doch so viel Mühe gab, mit der speziellen Rezeptur der Sauce Vinaigrette für die Freundin der Familie!
In einem irdenen Töpfchen mischte Helene einen leichten Weißweinessig mit dem zartgrün schimmernden Olivenöl, gab Salz und frisch gemahlenen schwarzen Pfeffer dazu, und je eine Prise grobkörnigen Senf, zerdrückten Knoblauch und etwas Ahornsirup. Sodann zerkleinerte sie mit einem großen Wiegemesser die herrlich duftenden, frischen Kräuter auf einem Holzbrett: Schnittlauch, Dill, Zitronenmelisse, Liebstöckel, Majoran, Thymian, Rosmarin und Estragon. Den größten Teil davon gab sie in die Essig-Öl-Mischung und hob eine kleine Portion zum dekorativen Bestreuen der Salatteller auf. Nachdem sie gekostet hatte, entschied sie, dass ein Schuss trockenen Weißweins das Aroma noch besser zur Geltung kommen lassen würde. Ja, es stimmte, das Dressing mundete köstlich!
Nun zweigte sie ein Fünftel von der fertigen Vinaigrette in ein kleines Glas mit Schraubverschluss ab, und holte das Plastikdöschen aus dem Tiefkühler, in dem sie die Ausbeute ihres Besuches im Botanischen Garten konserviert hatte. Gewaschen, zerkleinert und streufähig ließ sie den Inhalt in die abgeteilte Menge Vinaigrette rieseln. Es war eine hochwirksame Mischung heimischer Provenienz, die der Variation von Blattsalaten unter Vinaigrette
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