Schatz, schmeckts dir nicht
Anregungen für eigene Kochexperimente zu stoßen.
Kochen und Essen, alles was sich damit verband, war für sie ein lockender Kosmos, dessen ganze Weite sie nach Möglichkeit erforschen wollte. Für ein gutes Mahl konnte sie mitunter Stunden, ja Tage, in die Zubereitung investieren, und arbeitete dann mit einer Hingabe und inneren Erregung, wie ein Maler oder Komponist es wohl tat. Menschen, die zum Essen ein rein platonisches Verhältnis hatten, waren ihr suspekt. Sie konnte mit wachsender Begeisterung über Speisen und deren Herstellung reden, ja sie konnte sich direkt satt erzählen. Wenn sie in ein neues Land reiste, nahm sie nicht nur den Kulturführer, sondern auch ein landestypisches Kochbuch mit, und der Besuch der dortigen Lebensmittelhändler und Bauernmärkte gehörte für sie zum Pflichtprogramm. In der Ferne gekostete Speisen dann ohne Kochbuch, nur nach mündlichen Tipps und eigenem Gutdünken, zuhause perfekt nachzukochen war für Helene eine tiefe Befriedigung.
Die Gräfin bat nun alle, kräftig zuzulangen, und die meisten Schlossgäste ließen sich das nicht zweimal sagen. Helene begann mit einer Tasse Wildsuppe, von kräftiger, dunkler Farbe – einer guten Ochsenschwanzsuppe nicht unähnlich – hausgemacht natürlich, nicht dieser unappetitliche Dosenschleim à la Bockdorfers Wildkonserven – aber durch den leichten Wildgeschmack mit einer aparten eigenen Note. Sodann entschied sie sich für eine Portion warmen Weißkrautsalats, süßsäuerlich und kräftig mit Kümmel und ausgelassenem Speck angemacht, dazu zwei gebratene Fleischbällchen, die sich als zwiebelige, würzige Leberklopse erwiesen und einen kleinen Klecks Kartoffelsalat, erfrischend mit Äpfeln und Zwiebeln in einem leichten Sauerrahmdressing.
Als Getränk wählte sie ein Mineralwasser, da sie Alkoholisches tagsüber mied, so sehr sie auch das dunkle Bier mit dem sahnigen Schaum aus einer kleinen Privatbrauerei gereizt hätte. Da sie entdeckt hatte, dass als Nachspeise eine goldgelbe Apfelsandtorte bereit stand, der man die darin enthaltene Butter und die vielen Eier auf den ersten Blick ansah, und sie für altdeutsche Kuchen nun mal eine Schwäche hatte, verkniff sie sich einen weiteren Gang. Hans hatte sich den Teller mit anderen Köstlichkeiten beladen – er schien einer dieser glücklichen Männer mit Bärenappetit ohne sichtbare Folgen zu sein – und ließ Helene natürlich liebend gern hiervon und davon naschen. Fast alles fand ihren ungeteilten Beifall, was sie selbst am meisten erstaunte, da sie sich für sehr schwer zu beeindrucken hielt, was die Fähigkeiten in anderen Küchen anbetraf.
Nach der kurzen Mittagspause machte sich Helene, bewaffnet mit Stenoblock und Kuli, auf den Weg in die Schlossküche, in deren Mitte die Kochgruppe schon vollzählig mit Frau von Warthenstein um den blank gescheuerten, großen Holztisch versammelt war. Und in welch beeindruckendem Ambiente!
Etwa 40 Quadratmeter groß, so schätzte Helene, bildete der Raum ein Rechteck, dessen eine Längsseite eine Reihe von vier Fenstern aufwies, die tief in ihren Nischen lagen und zum Schlossgarten zeigten. An der einen Stirnseite befand sich ein riesiger moderner Profiherd mit Backofen, neben der alten, mit Feuer beheizbaren Kochstelle, die jetzt mit dem kohlegeschwärzten Rauchfang nur noch als Arbeitsfläche diente. Dahinter, aufgereiht auf einer Metallstange, warteten allerlei Kellen und Kochlöffel auf ihren Einsatz, von den Balken der an dieser Stelle recht niedrigen Decke hingen gusseiserne Pfannen in allen Größen, und an den weiß gekalkten Wänden die verschiedensten Gerätschaften aus blank gewienertem Kupfer. Unterhalb der Fensternischen waren offene Schränke eingebaut, in denen riesige Edelstahltöpfe und weitere Kochutensilien standen. Die Nischen selbst schmückten Terrakottagefäße mit Küchenkräutern, die zu empfindlich waren, um im Freiland gezogen zu werden, oder aber auch eine Sammlung besonders schöner, handgetöpferter Krüge und Kannen.
Der Fußboden bestand aus großen Natursteinplatten, die an markanten Stellen, wie vor dem Herd oder dem massiven, hölzernen Küchenblock mit der beeindruckenden Messersammlung links daneben, im Lauf der hier verkochten Jahrhunderte schon ganz ausgetreten waren. Auch in den marmornen Spülstein hatten die Generationen hier wirkender Köche und Köchinnen und deren Helferschar ihre Spuren hineingewaschen.
An den übrigen Wänden wechselten sich weitere Arbeitsflächen mit
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