Schatz, schmeckts dir nicht
Anregungen für verschiedene Beizmöglichkeiten. Im Übrigen können Sie unser Fleisch hier natürlich auch käuflich bei mir erwerben und mit nach Hause nehmen. So eine Keule eignet sich als Menübestandteil für 12 bis 16 Personen, je nach Zusammenstellung der Speisenfolge, und wenn sie eine Möglichkeit zum Einfrieren haben, ist sie ja auch über mehrere Monate zu konservieren. Das Einfrieren halte ich sowieso für die sauberste Konservierungsmethode, auch wenn dabei etwas Aroma verloren geht. Pökeln beeinflusst nach meinem Dafürhalten zu sehr den Geschmack und ich denke, Räuchern oder Lufttrocknen kommt für Sie als Städter sowieso nicht in Frage.« Dann griff sich Frau Gräfin die Säge, die auf dem großen Tisch schon bereit lag, und fragte, wer es denn wagen wolle, den Ziemer – das war der Rehrücken – herauszuschneiden. Da sich niemand meldete, wandte sie sich auffordernd an Helene.
»Es müssen ja nicht immer die Mannsbilder sein. Wie wär’s, gnädige Frau?«
»Aber gerne, wenn Sie mir zeigen, wie das geht«, erwiderte Helene und nahm das Werkzeug in die Hand.
»Wir setzen an, etwa zehn Zentimeter seitlich vom Rückgrat und durchtrennen die Rippen – so …«
Erst mit Hilfe Frau von Warthensteins, dann alleine, löste Helene so den Rehrücken aus. Es ging viel leichter als erwartet und kostete keine große Kraftanstrengung. Das Fleisch fühlte sich glatt, kühl und erstaunlich trocken an. Dann musste sie noch die Bauchlappen wegschneiden, als Kochwildbret, wie ihre Lehrmeisterin erklärte, und das Rückgrat in Halsstück, Vorder–, Mittel- und Hinterrücken zerteilen. Schließlich hieß es noch, Blutergüsse und die Ein- und Ausschussstelle weiträumig entfernen. Helene war mit ihrer Operation so zufrieden wie ein Professor Sauerbruch.
In Zweiergruppen bearbeiteten sie nun die drei Rückenteile. Die Gräfin erläuterte das Enthäuten und Entsehnen des Wildbrets und wie wichtig es sei, körpereigenes Fett zu entfernen, da dies, besonders bei älteren Tieren, einen unangenehmen Beigeschmack verursachen könne. In Staunen versetzte sie ihre Wildkochschüler mit einem Trick, der verhindern sollte, dass sich das Rückenstück beim Braten wie ein Flitzebogen spannte: Sie steckte jeweils einen glühenden Eisenstab durch den Rückenmarkskanal der Bratenstücke, was mit einem lauten Zischen und einem intensiven, unangenehmen Sengegeruch einherging.
»Irgendwas lässt mich an die Methoden der heiligen Inquisition denken«, bemerkte Hans trocken und schüttelte sich.
»Entweder – oder«, antwortete Frau von Warthenstein bestimmt.
»So, jetzt zum Spicken. Das Wildfleisch ist ja besonders mager, und nun müssen wir es, um ein Austrocknen beim Braten zu vermeiden, gut mit Speck versorgen. Schneiden Sie etwa drei Zentimeter lange Streifen von ungefähr einem halben Zentimeter Durchmesser und verteilen Sie die mit immer zwei Zentimeter Abstand auf Ihrem Rückenteil. Immer schön in Faserrichtung spicken, damit die Speckstückchen nicht wieder herausfallen.«
Helene arbeitete mit Hans zusammen, wobei er ihr automatisch die Führung überließ, was der Harmonie zwischen den beiden nur förderlich war. Er assistierte beim Enthäuten, er schnitt den Speck, er schärfte das Messer und Helene fuhr damit mehrere Zentimeter tief in das Fleisch. Es leistete erst ein wenig Widerstand, dann gab die oberste Schicht mit einem leichten Knack nach und das Messerchen konnte ungehindert in die zarten Muskelfasern eindringen. Sie arbeitete konzentriert und leckte sich mit der Zungenspitze des Öfteren die Oberlippe. Ihre Wangen hatten sich vor Eifer leicht gerötet. Es war nicht von der Hand zu weisen, die Beschäftigung mit diesem feinen, rohen Fleisch hatte eindeutig eine sinnliche Dimension.
Auch Ruoff und Hoppe präparierten ihr Rückenstück mit Hingabe, wobei sie das Bild eines wissenschaftlichen Forscherteams boten und jeden auch noch so kleinen Handgriff mit umständlicher Genauigkeit ausführten. Wenn Männer sich schon herabließen, vermeintlich weiblich beherrschte Tätigkeitsdomänen wie das Zubereiten von Mahlzeiten durch ihre Beteiligung an denselben zu adeln, dann mussten sie der Welt wenigstens beweisen, dass sie es mit ihrer unnachahmlichen, männlichen Sachlichkeit und Präzision einfach besser konnten.
»Wieso fast alle Chefköche männlichen Geschlechts sind, werde ich nie begreifen«, wunderte sich Helene mit einem abfälligen Seitenblick auf die beiden.
Frau Wiemer und die Gräfin hatten
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