Schatz, schmeckts dir nicht
ihr Stück Fleisch als Erste fertig. Nun erläuterte die Küchenchefin, was vor, nach und zu dem Rehrücken geplant war, die Aufgaben wurden verteilt, und bald klapperten Messer auf Holzbrettchen, Wasser floss über Pilze und Salat, auf dem Herd brodelte und brutzelte es, und betörende Düfte begannen sich im Raum zu verbreiten. Kaum ein Wort wurde noch gewechselt, und Helene fühlte sich erinnert an Zwerg Nases Lehrjahre unter den Meerschweinchen.
Die Vorbereitungen näherten sich ihrem Ende, und nachdem sie die drei Rehrückenportionen kunstvoll tranchiert und zum Servieren wieder auf den Knochen zusammengesetzt hatten, waren sich alle Beteiligten über das Gelingen des heutigen Abschlussfestmahles einig und darüber, von diesem einmaligen Erlebnis in der Schlossküche bestimmt für zukünftige, eigene Menükreationen profitiert zu haben. Als die Gräfin ihre handschriftlich festgehaltenen Rezepte als Kopien zum Mitnehmen für einen kleinen Obolus anbot, gab es niemanden, der sie nicht mit nach Hause nehmen wollte. Schließlich machte sich Hans zum Sprecher der Truppe und bedankte sich artig in aller Namen bei der Schlossherrin, die mit einem herzlichen Applaus bedacht wurde. Die Assistentenschar wurde entlassen, um sich für den Abend in Schale zu werfen.
Helenes Schale bildete ein meergrünes Kleid aus einem groben Leinenstoff. Ganz gerade geschnitten, inspiriert wohl von den schlichten Kitteln des Mittelalters, teilte das Vorderteil eine Mittelnaht, die in Kniehöhe zu einem Schlitz wurde. Das obere Ende der Naht bildete die Spitze eines Ausschnitts, der sich weit zu beiden Schultern öffnete. Eine Kette aus großen schwarzen Onyxscheiben und ein ebensolches Armband, das bei jeder Bewegung unter den gerade geschnittenen Ärmeln hervorrutschte, sowie schlichte schwarze Ballerinas, bildeten die weiteren Zutaten ihrer wohldurchdachten Erscheinung.
Bald darauf stand Helene allein am Rand der Schlossterrasse, nippte an ihrem Aperitif, einem trockenen Sherry, und versuchte wieder, das vor ihr ausgebreitete Panorama mit seinen Farben, Formen und Gerüchen in sich aufzunehmen. Es dauerte gar nicht lange, und Hans gesellte sich zu ihr. Sein modischer Tribut an das abendliche Festmenü erschöpfte sich in einer andersfarbigen Cordhose als am Vorabend, mit dazu passendem Pilotenhemd. Seit er begriffen hatte, dass bei Helene die Verständnis und Trost heischende Selbstmitleidspose nicht zog, und in Anbetracht des letzten gemeinsamen Abends, sprich der letzten Chance, war er zum offensiven Flirten übergegangen. Er machte ihr Komplimente für ihr Aussehen, ihren Charme, bewunderte ihren Witz und ihre großstädtische Nonchalance, die sie meilenweit aus den langweiligen Provinzmäusen heraushebe, mit denen er es in Hannover zu tun habe.
Die Umworbene ließ ihn bereitwillig gewähren und genoss sein Bemühen in vollen Zügen. Auch für das Selbstbewusstsein einer glücklich verheirateten Frau war es wichtig, ab und an die Wirkung auf andere Männer als den eigenen zu verspüren. Allerdings war eines für Helene felsenfest: Sie war treu. Was du nicht willst, das man dir tu … Und an Jans ehelicher Treue hegte sie nicht den geringsten Zweifel. Er war nicht nur mit ihr, sondern auch mit seinem Beruf verheiratet, und das war gut so. Das bisschen Freizeit, das ihm blieb, hatte Helene immer gut verplant, und über seine beruflichen Projekte verschaffte sie sich hin und wieder den Überblick durch einen Besuch im Büro. Schließlich hatte er Anteilnahme an seinem schweren Job verdient, der der Familie das Auskommen sicherte.
Diese Maßnahme hatte sich bereits als durchaus vernünftig und hilfreich erwiesen. Da gab es vor ein paar Jahren diese neue Sekretärin mit dem, wie selbst Helene zugeben musste, ausgesprochen appetitlichen Äußeren, die glaubte, sie müsse sich unersetzlich machen, indem sie begann, ihre drei Chefs liebevoll zu umsorgen und zu verpflegen. Bald konnte Helene die Lobeshymnen auf Sabine oder Regine oder wie diese Dame hieß, nicht mehr hören: Immer freundlich, zu jeder Überstunde bereit, keine Fehlzeiten, äußerst flink und korrekt, und darüber hinaus immer frische Blumen im Büro, der beste Kaffee, den es je dort gegeben hatte, und schließlich als Mittagsimbiss die köstlichsten, handgemachten Schnittchen, und erst ihr Selbstgebackenes, das auch gerne Kunden bei Geschäftsbesprechungen gereicht wurde – mit Sicherheit ein Grund für den Aufschwung in den letzten Monaten. Es war schier
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