Schatz, schmeckts dir nicht
frisches Sauerkraut im Herbst, im September den ersten Federweißen. Das sind nur einige, wenige Beispiele. Und traditionell erzeugte Lebensmittel brauchen oft auch viel Zeit zum reifen. Apropos! Das ist das Stichwort für mich!«
Helene erhob sich, um den Käse aufzutischen. Eine gute Gelegenheit, dieses lächerliche Thema zu beenden. Sie hatte in Elfriedes Laden ausschließlich Käsesorten aus Rohmilch erstanden, die sich durch ihre, während natürlicher Reife langsam erworbenen, unverwechselbaren Aromen auszeichneten und deren Anblick allein schon interessant war. Zum Beispiel der Pertuis, der mit seiner graubraunen Schale auch ein verwittertes Stück Gestein hätte sein können, diesen Eindruck aber durch seinen strengen, starken Duft sofort Lügen strafte. Oder die kleinen Ziegenfrischkäsepyramiden aus Brandenburg, die mit einer grauen Ascheschicht bedeckt waren. Vom Geschmack her hatte es Helene der Découpé Camembert angetan. Wenn er noch nicht im zu weit fortgeschrittenen Reifestadium war, schmeckte er gleichzeitig nach Butter und Sahne und der salzigen Luft der Normandie. Auf einer Scheibe knusprigen Baguettes, mit einer schönen Schicht Butter darunter, wie in dieser Ecke Frankreichs üblich, entfaltete er in voller Intensität sein unvergleichliches Aroma.
Sie stellte das Käsebrett aus rohem Holz auf den Tisch, dazu einen Korb mit Baguettescheiben – original französisches, weißes und Vollkorn – sowie eine Schale schöner, gelb glänzender Butter, und verteilte Teller und Messer. Bei den Damen – bis auf Diane, die äußerst aufmerksam wirkte – hatte sich eine gewisse Trägheit eingestellt. Erst die Aussicht auf eine Fortsetzung der Tafelei brachte wieder Leben in die Runde.
»Noch mehr essen? Du bist wahnsinnig, Helene!« Dieser Spruch kam, wie zu erwarten, von Ulli. Dorothea stöhnte wie immer, dass sie nicht mehr könne, und Elfriede forderte auf, doch wenigstens zu probieren, denn wann hätte sie schon mal die Gelegenheit, neue Kunden durch eine Verkostung in diesem vollendeten Rahmen von ihren Produkten zu überzeugen.
Diane zeigte ihr mildes, allwissendes Lächeln, unter dem sich Helene wieder wie ein Tölpel vorkam. Nun gut, das Lächeln würde ihr noch vergehen. Aber eingedenk Dianes Worten bei ihrer ersten Begegnung, dass es Wichtigeres als Kochen und Essen gäbe, die ihr heute noch im Ohr klangen, hielt sie den Zeitpunkt für gekommen, ihr und auch den anderen Unwissenden endlich einmal etwas zu erklären.
»Meine Lieben, es muss euch doch klar sein, dass es auch noch ein Dessert gibt. Und wir haben ja Zeit! So ein Mahl ist ein kompliziertes Geflecht aus Speisen und Geschmacksvarianten. Ein Gang soll den anderen ergänzen oder vorbereiten oder auch nachwirken lassen. Die eine Speise dient als Stimulans, die andere der Erfrischung, die nächste als Abschluss. Auch deswegen ist Kochen eine Kunst. Am Ende steht die vollendete Komposition, das unwiederbringliche Geschmackserlebnis. Wunderbare Speisenfolgen können Unglückliche trösten, Harmonie entstehen lassen, ja Feinde versöhnen, den Geliebten verführen. Abende werden unvergesslich. In Verbindung mit den dazugehörigen Getränken, der geschmückten Tafel, der entsprechenden Beleuchtung, der Musik wird daraus ein Gesamtkunstwerk für alle Sinne. Es geht hier nicht um pure Völlerei, und natürlich auch nicht um die Alltagsküche, sondern um einen Kunstgenuss, der dem Genießenden eine Ahnung von Glückseligkeit vermittelt.«
Puh. Das musste sie einfach einmal loswerden. Keine sagte etwas.
»Genug der Küchenphilosophie! Diese Käse aus Elfriedes Laden sind wirklich sehr zu empfehlen.«
Susanne und Elfriede klopften begeistert auf den Tisch.
»Das hast du wirklich gut gesagt und du hast recht! Wir sind uns all dessen gar nicht bewusst, während wir eine Köstlichkeit nach der anderen verspeisen.«
Sogar Diane schien beeindruckt.
»Ich muss gestehen, dass ich das noch nie so gesehen habe. Aber das ist natürlich auch eine Interpretation.«
So wie sie es sagte, war klar, dass sie nichts an ihrer Einstellung für revidierungsbedürftig hielt. Diese Frau schwamm in ihrer Selbstzufriedenheit wie eine Sardine im Öl.
Helene dachte sehnsüchtig an das Dessert und spürte, dass sie nun doch eine gewisse Unruhe überkam. Doch was sollte schiefgehen? Schließlich hatte sie schon zigfach derartige Tafelrunden bekocht und wie immer alles bis ins Detail perfekt geplant und vorbereitet. Und die Besonderheit des heutigen Abends war
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