Schatz, schmeckts dir nicht
einem kleinen Weingut im Rhônetal, mit dessen Besitzern er befreundet war. Außerdem brachte er einen Toast auf die Köche und Köchinnen aus, dem sich natürlich ein ebensolcher auf die Jägerfraktion anschließen musste. Hiermit löste er eine Flut von weiteren Trinksprüchen aus, die ein Teil der Gäste unbedingt loswerden wollte. Ehe jedoch das erste Glas Wein auf diese Weise viel zu schnell geleert war, machte das Auftragen des Hauptgerichts dem weiteren Austausch von Artigkeiten ein Ende.
Auf großen schweren Silberplatten präsentierten sich in einem satten, glänzenden Rotbraun, nur unterbrochen von den transparent goldgelb schimmernden Speckfäden, die einzelnen Rehrückenteile. Unter Anleitung der Küchenchefin war als traditionelle Beilage ein Semmelkuchen bereitet worden, der in einer geschlossenen Puddingform im Wasserbad gegart wurde und aus altbackenen Semmeln, Milch, Eiern, Salz und Muskatnuss bestand. Dampfend kam er jetzt in zweifacher Ausfertigung auf den Tisch und war hervorragend geeignet, die samtige, tiefbraune Soße in sich aufzunehmen, deren intensiver, göttlicher Geschmack Helene unnachahmlich erschien, was sie trotzdem nicht davon abhalten würde, eine Nachahmung zu versuchen. Natürlich durfte zur Abrundung dieses klassischen Wildgerichts das aromatische Preiselbeermus nicht fehlen, ebenso wie der mit Nelke, Zucker und Rotwein abgeschmeckte Rotkohl.
Stille senkte sich über die Tafelnden, und es gab wohl keinen, der von diesem Mahle nicht beeindruckt war. Selbst die Herren Amateurköche waren des Lobes voll, betonten aber auch mehrfach, dass das Gelingen der Speisen nicht zuletzt ihrer Beteiligung an der Erstellung des Menüs zu verdanken war. Auch Margarethe hatte mit ihrem Carlo Frieden geschlossen und nur ihm zuliebe, wie sie entschuldigend sagte, von dem Fleisch des armen, niedlichen Rehleins probiert, es aber bei einem Appetithappen bewenden lassen, was ihren Begleiter nicht zu stören schien, da er auf diese Weise ihre Portion noch mitverdrücken konnte. Frau Homann ermahnte ihren Gatten vergeblich, seinen Cholesterinspiegel im Auge zu behalten. Trotz seines Nichtgehorchenwollens blieb sie aber friedlich und widmete sich konsequent dem Erhalt ihres nicht unbeachtlichen Übergewichtes. Bedauernd musste Helene nach einer Portion das Besteck ablegen, denn sie hätte diese einmalige Geschmackskomposition gerne noch eine Weile genossen. Da jedoch comme d’habitude wieder ein Dessert anstand, siegte ihre Vernunft.
Die wieder auflebenden Gespräche drehten sich nun um Kochen und Essen, was angesichts des Sättigungsgrades der Tischgesellschaft zwar erstaunlich war, aber unter kochbegeisterten Menschen Tradition zu haben schien. Da man sich durch die gemeinsamen Unternehmungen schon etwas nähergekommen war, fiel auch ein gewisses Imponier- und Konkurrenzverhalten weg, sodass der Abend einen amüsanten, harmonischen Verlauf nahm und Helene dieses Wochenende als insgesamt äußerst gelungen abhakte, auch wenn sie anfangs darüber enttäuscht war, alleine daran teilnehmen zu müssen. Wenn sie ehrlich war, hätte Jan sich hier vielleicht sogar fehl am Platze gefühlt und nur geduldig ihren Begleiter gespielt. Außerdem hätte sie dann wahrscheinlich jetzt nicht mit Hans Bruderschaft getrunken und ihn belustigt auf beide Wangen geküsst, was der absolut nicht fair fand. Es war schon ein sehr gutes Gefühl, zu wissen, dass sie bald wieder nach Hause kommen würde.
Das Mahl endete mit einer warmen Heidelbeertorte, die die geschlagene Sahne wieder flüssig werden ließ, sobald man einen Löffel voll darauf setzte, und deren herbsüßer Geschmack einen würdigen Abschluss bildete. Schwarzer Mokka wurde in zierlichen, aus verschiedenen Stilepochen stammenden Porzellantässchen gereicht, und zur Abrundung ein edler Birnengeist aus schlosseigenen Früchten, dessen feiner Duft allein schon Betörung genug war. Aber erst der Geschmack!
Die Zeit verging sehr schnell in angeregter Unterhaltung, wobei die Themen sich bald nicht mehr auf Kochen, Essen und natürlich Jagen beschränkten, sondern Gott und die Welt einbezogen und die Gräfin sowie Hoppe und Ruoff als witzige, begabte Erzähler präsentierten. Es war weit nach Mitternacht, als man die Tafel aufhob und den Schlafgemächern zustrebte. Ritterlich begleitete Hans seine umworbene Tischdame zu ihrem Zimmer, die ihm artig dankte, ihm einen Gutenachtkuss auf die Wange hauchte, um dann hinter rasch verschlossener Tür allein ihrem
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