Schatz, schmeckts dir nicht
historischen, schmiedeeisernen Bettgestell zuzustreben.
Helene schlief gut und tief und konnte sich am Morgen weder guter noch schlechter Träume erinnern. Nach dem wieder köstlichen Frühstück sagten sich Gastgeber und Gäste Danke und Adieu, Anschriften und Email-Adressen wurden getauscht, und Helene verstaute eine mächtige Rehkeule, die sie bei der Gräfin erstanden hatte, in ihrem Kofferraum. Für die Verwendung des Prachtstücks hatte sie bereits einen ganz konkreten Anlass im Auge. Auf der Autobahn war wenig los, und Helene hatte die Muße, sich im Geiste ihre Erzählungen über das Hubertuswochenende für zuhause zurechtzubasteln. Ein bisschen sollte Jan es schon bedauern, sie nicht begleitet zu haben. Und dann sonnte sie sich bereits jetzt in dem Lob, das ihr die Warthensteinschen Kocherfahrungen mit absoluter Sicherheit unter den Gästen ihrer nächsten Einladungen zum Abendessen einbringen würden – wenn sie auch niemandem, nicht einmal Jan, eingestanden hätte, wie wichtig ihr dies war, als die absolute Königin der Kochkunst zu gelten.
Am frühen Nachmittag erreichte sie Berlin. Wie immer am Sonntag war der Kudamm um diese Zeit ziemlich leer, und bald bog sie in ihre Straße in Charlottenburg ein, wo sie sogar einen Parkplatz direkt vor der Tür fand. Nach nur zwei Tagen Abwesenheit empfand sie, was ihr selbst ziemlich albern vorkam, eine innere Freude, wieder daheim zu sein. Erwartungsfroh nahm sie den Lift in ihr ausgebautes Dachgeschoß in einem typischen Gründerzeitwohnhaus.
Natürlich war keiner ihrer Sprösslinge zuhause und die Wohnung trug deutliche Spuren jugendlichen Wohllebens. Niemand hatte die Fenster zum Lüften geöffnet und schwer lag eine Geruchsmischung aus Ketchup, Senf und Zwiebeln in der Luft, die den bekleckerten Fastfood-Verpackungen und darauf liegen gebliebenen Essensresten entströmte. Daneben gab es auch reichlich gebrauchtes Frühstücksgeschirr, das davon zeugte, dass ihre Kinder einige Wochenendgäste mitversorgt hatten.
Diese Unordnung war sie gewohnt, wahrscheinlich hatte sie durch ihr ständiges Hinterherräumen auch ein Gutteil dazu beigetragen, das Entstehen von Ordnungsliebe bei den beiden zu verhindern. Wenn sie dann von Zeit zu Zeit ein Donnerwetter zu diesem Thema losließ, bemühten sie sich für eine Weile, um bald darauf wieder in den alten Trott zu verfallen – Elternfreuden. Leisen Ärger empfand Helene allerdings, als sie feststellen musste, dass die zwei von ihr liebe- und mühevoll vorbereiteten Mahlzeiten, von denen sie angenommen hatte, dass sie Peer und Janina, wie auch ihre Freunde, in Begeisterung versetzen würden, nicht einmal angerührt worden waren. Nein, es stimmte nicht ganz: Die Desserts hatten sie natürlich restlos verputzt.
Als Erstes versorgte Helene die vom Schloss mitgebrachte Rehkeule. Danach packte sie ihre Reisetasche aus und machte sich entgegen ihrer pädagogischen Vorsätze daran, die Wohnung in ihren Normalzustand zu versetzen.
Vor 15 Jahren hatten Jan und sie diesen Dachboden erworben, waren dafür an ihre finanzielle Schmerzgrenze gegangen und hatten es mittels kräftiger Eigenleistung nach fast fünf Jahren geschafft, unterm Dach ein wahrliches Wohnparadies zu schaffen. Jetzt war es ein luxuriöses Kleinod, mitten in der wieder vereinten Großstadt, trotzdem ziemlich ruhig, statt arbeitsintensiven Gartens mit einer riesigen Dachterrasse vor Küche und Wohn-Ess-Bereich, noch einer kleineren Terrasse vor den Schlafzimmern, und trotz der zum Teil schrägen Wände, mit mehr als genug Wohnfläche. Und natürlich mit einem faszinierenden Blick über die westliche Mitte der Stadt, vom Europacenter bis zu den Neubauten am Potsdamer Platz.
Immer aufs Neue konnte sich Helene an ihren eigenen, wesentlich mehr als vier Wänden erfreuen. Und ganz besonders war ihr – wie sollte das auch anders sein – ihre Küche ans Herz gewachsen.
Von solchen Perlen wie der Warthensteinschen Schlossküche einmal abgesehen, empfand sie die ihre immer noch als das Nonplusultra an Ausstattung und Atmosphäre. Lange bevor es angesagt war, Gäste in den Küchendunst einer durchgestylten Designerküche zu zwingen, hatte sie auf einem zum Ess- und Wohnraum hin offenen, die Normalgröße weit übertreffenden Arbeitsbereich bestanden. So war sie als Köchin bei ihren häufigen Einladungen nicht von den Gästen isoliert und vom Gespräch abgeschnitten, sondern mischte sich, wenn’s sein musste, auch vom Herd her ein. Ein Nachteil war,
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