Schatz, schmeckts dir nicht
langweilen.«
»Tust du doch gar nicht!«, protestierte Helene voller Inbrunst. Natürlich interessierte sie sich dafür – allein schon der beeindruckenden, kastanienroten Persönlichkeit wegen.
»Wie war’s denn bei deinen hochherrschaftlichen Jägern?«
»Es war wundervoll und sehr erkenntnisreich, was meine Lehrstunden in der Schlossküche betrifft. Schade nur, dass du nicht dabei sein konntest!«
Sie nahm Jans Angebot, sich ans Steuer zu setzen, gerne an, so konnte sie schon auf der Heimfahrt beginnen, ihr Hubertuswochenende in den schönsten Farben zu schildern. Als sie zuhause anlangten, war sie gerade erst beim Frühstück am Sonnabendmorgen vor dem Jagdbesuch angelangt.
»Toll, dass ihr zwei wieder da seid! War’s schön bei euch?«, begrüßte gleich im Flur Janina ihre Eltern, wobei die Erkundigung nach ihren Wochenenderlebnissen eher rhetorisch gemeint war, denn ihre Busenfreundin Elisa aus Kinderladentagen stand bereits abwartend im Hintergrund. Bis auf die Tatsache, dass Elisa groß und dunkel, und Janina etwas kleiner und blond war, hatten sie sich in Frisur, Kleidung, Bewegung und Sprache einander völlig angeglichen, ebenso wie in ihrem Bedürfnis, so viel Zeit wie möglich zusammen zu verbringen.
»Ich bin auch schon wieder weg. Ihr habt doch nichts dagegen, wenn ich bei Elisa übernachte.« Dies war nicht als Frage formuliert, sondern als Feststellung.
»Und die Schule, deine Hausaufgaben und Abendessen?«, wollte die pflichtbewusste Mutter wissen.
»Alles schon erledigt, Mappe dabei und essen tun wir was bei Elisa. Ciao, ihr Lieben!« Küsschen hier und Küsschen da, und weg war sie.
Von Peer fand sich ein Zettel in der Küche mit dem Hinweis, dass er bei seiner Freundin sei und mit ihr noch ins Kino wolle, sodass sie nicht auf ihn zu warten brauchten. Herzlich willkommen zuhause! Als ihre Kinder diese Selbständigkeit zu entwickeln begannen, die ein geordnetes Familienleben außer Kraft setzte, hatte vor allem Helene damit ihre Probleme gehabt. Sie fühlte sich geradezu einiger ihrer Zuständigkeiten beraubt. Doch so ganz allmählich hatte sie diese neue Freiheit schätzen gelernt, denn nichts anderes bedeutete der Wegfall der Notwendigkeit, stets verfügbar zu sein und den eigenen Tagesablauf dem der anderen unterzuordnen.
So konnte sie mit Jan auf der Terrasse beim Aperitif diesen unglaublich milden Oktoberabend genießen, ihn anschließend wie geplant mit einer seiner Lieblingsspeisen becircen, während sie ihn mit der Fortsetzung ihrer Geschichten von Schloss Warthenstein unterhielt, denen er teils amüsiert, teils beeindruckt von ihrer Erzählkunst, lauschte. Natürlich widmete sie einen großen Absatz ihrer Schilderungen dem Herrn Schmidt und seinen Bemühungen, um Jan vor Augen zu halten, dass es da durchaus Konkurrenz gab. Bevor allseits Müdigkeit einzusetzen drohte, die andere eheliche Aktivitäten im Keim erstickt hätte, drängte Jan auf charmante Weise auf eine Beendigung ihres Berichts, und lenkte beider Schritte in Richtung Schlafzimmer. Wohlig seufzend konstatierte Helene, dass die Wirklichkeit der Idylle, die sie auf Warthenstein von ihrer Beziehung gemalt hatte, in nichts nachstand.
Auch die nächsten Wochen glitten ruhig und harmonisch dahin, Kastanienrot war nur für die Früchte an den entsprechenden Bäumen ein Thema, ein Hochdruckgebiet hatte sich über Mitteleuropa festgesetzt, und es war und blieb ein goldener Oktober.
Die Interviews / Nr. 1
Der Herr Schmidt
Natürlich habe ich davon gehört. Die Sache ging ja groß durch alle Medien. Für mich ändert sich dadurch aber rein gar nichts, muss ich Ihnen sagen.
Nach meiner letzten Trennung ging es mir nicht gut. Meinen Alltag meisterte ich natürlich, funktionierte im Beruf wie ein Uhrwerk, blieb weiterhin erfolgreich. Ich bin wahrscheinlich viel zu diszipliniert, um mich gänzlich hängen zu lassen, hab ja auch eine Verantwortung für meine Mitarbeiter. Menschen, die mich nur flüchtig kennen, haben mir bestimmt gar nichts angemerkt. Aber innerlich war ich irgendwie ausgebrannt, alles an mir war taub. Sogar mein Haus in der Toskana – eigentlich immer mein Lebenstraum – hat mich überhaupt nicht mehr interessiert. Ich hatte halt immer die Vorstellung, dort zu zweit zu leben …
Und dann schickten mich meine Mitarbeiter zu diesem Hubertuswochenende, wo ich Helene traf. Ich glaube, als Erstes ist mir ihr Humor, ihr Witz aufgefallen und hat mich sofort für sie eingenommen.
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