Schatz, schmeckts dir nicht
Außerdem ist sie so offen, so klar, und sie sieht natürlich toll aus. Aber wie konnte es anders sein, natürlich war sie verheiratet, und auch noch glücklich dazu! Ich muss Ihnen sagen, das hat mich gar nicht überrascht, ich war schon immer ein Pechvogel. Trotzdem habe ich mich immer wieder bei ihr gemeldet. Ich kann eben auch sehr hartnäckig sein, wissen Sie. Inzwischen frage ich mich, ob ihre Ehe wirklich so glücklich war. Irgendwas wird doch geschehen sein, das diese Entwicklung in Gang gesetzt hat, oder?
Wie gesagt, ich habe die Verbindung zu ihr nie abreißen lassen und sie hat sogar hin und wieder auf meine Mails geantwortet. Vielleicht klingt das ja verrückt, aber irgendwie habe ich das Gefühl, dass inzwischen meine Chancen bei ihr gestiegen sind. Es könnte doch durchaus sein, dass sie irgendwann gerne mit mir nach Italien kommt, dass sie alles hier hinter sich lassen und mit mir neu anfangen will.
In zwei Wochen werden wir uns sehen. Ich bin deshalb schon ganz aufgeregt, muss ich Ihnen gestehen. Immerhin ist es ein dreiviertel Jahr her, seit wir uns das erste Mal trafen. Ich werde ihr meine Pläne schildern und bin sehr gespannt, was sie dazu sagt. Für mich hat sich, wie eingangs gesagt, überhaupt nichts geändert, oder halt, eines vielleicht doch: Ich habe wieder Hoffnung, dass ich endlich jemanden gefunden habe, der mich in die Toskana begleiten wird …
Kapitel II
Für Helene endete der Oktober und begann der November ohne besondere Ereignisse – auch in der Küche hatten die Alltagskochereien Überhand. Das änderte sich erst, als Susanne anrief und ihre Unterstützung für eine bevorstehende Vernissage in ihrer Galerie anforderte. Helene hatte der Freundin nicht nur bei der Erstellung von Katalogen geholfen, Kunstwerke verpackt, Einladungen verschickt, sondern, wie sollte es auch anders sein, mittlerweile die gastronomische Oberleitung bei gesellschaftlichen Ereignissen in ihrer Galerie an sich gerissen. Mit Sicherheit waren die Vernissagen der Galerie Kopfbauch künstlerisch nicht immer die Meilensteine im Kulturleben der Stadt – ihre kulinarischen Begleitumstände dagegen ohne Zweifel.
Nicht ohne Stolz erinnerte sich Helene an die letzte Ausstellungseröffnung eines jungen, hoch gelobten Talentes aus Japan. Der Künstler, figürlich an einen Sumoringer gemahnend – auch seine Haartracht hatte er in dem passenden Zöpfchen gebändigt – variierte das Thema der Flagge Nippons. Folglich dominierten Rot und Weiß seine Werke, was einer gewissen Monotonie nicht entbehrte.
Welch eine Pracht an Farben und Formen entfaltete dagegen das unter Helenes Leitung bereitete Sushi und Sashimi Büffet! Die zarten Alabastertöne rohen Fisches zwischen Palmwedeln aus Lauch, durchscheinenden Röschen aus Rettich, zierlichen Sträußchen aus Daikonkresse, gebunden mit einem Streifchen Nori, Blütenträume aus Möhren- und Gurkenscheiben, kunstvolle Gunkan Maki neben Nigiri Sushi – eine wahre Augenweide! Und es versicherte Helene manch kunstsinniger Besucher, dass ihr, beziehe man den Geschmack mit ein, ein echtes Gesamtkunstwerk gelungen sei.
»Grüß dich, Susanne. Toll, dass du dich gerade jetzt meldest! Alle um mich herum sind so wahnsinnig beschäftigt und ich komm mir manchmal richtig überflüssig vor. Die Kinder ständig auf Achse, kommen, wenn überhaupt, nur noch zum Schlafen heim und schlingen ihr Essen völlig abwesend runter. Es sei denn, sie mögen es nicht, dann wird nur gemeckert. Und Jan hat im Büro Hochkonjunktur, was ja ganz schön ist, aber das bedeutet, dass er mit dem Kopf ständig bei seinen Projekten hängt, sollte er überhaupt mal zu ziviler Zeit nach Hause kommen. Du siehst also, ich habe reichlich überschüssige Energien. Was gibt’s denn konkret zu tun für mich?«
Wieder einmal hatte Susanne ein junges, natürlich männliches Genie entdeckt, das sie unbedingt fördern musste. Neben der für sie persönlichen Bereicherung – der wohl recht attraktive, junge Maler teilte bereitwillig Tisch und Bett mit ihr – ihren Tisch und ihr Bett versteht sich – war da noch ein anderer wichtiger Aspekt: Er stammte aus Russland und der ganze Osten war kunstszenemäßig gerade schwer angesagt, wie Susanne jubilierte. Helene sollte sich als Erstes um jene Kartei kümmern, in der finanzkräftige, potentielle Käufer, tonangebende Kritikerpäpste, die Schickimickis, die halt dazugehörten, und einige unverzichtbare Multiplikatoren, wie Susanne sie nannte, gesammelt
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