Schatz, schmeckts dir nicht
waren, sie auf Aktualität durchforsten – wer war schon dreimal geladen und hatte nie Kaufinteresse gezeigt, aber sich den Bauch vollgeschlagen – und mit neu gewonnenen Kunstfreunden ergänzen. Dann würde sie mit Susanne die Einladung abfassen, verschicken, und natürlich müsste sie für das leibliche Wohl sorgen.
Das war doch mal wieder eine willkommene Abwechslung! Sofort kamen Helene bei dem Stichwort Russland Borschtsch, Kaviarblinis und Krimsekt in den Sinn, aber sie hoffte, beim Studium ihrer heimischen Küchenbibliothek und im Internet auch noch weniger abgegriffene Speisen zu finden. Zum Glück war eines bei der Ausrichtung der Büffets für Kopfbauch gesichert: Geld spielte absolut keine Rolle!
Das war Susannes Mann zu verdanken. Dieter war einer der liebenswertesten Menschen, die Helene je über den Weg gelaufen waren. Weswegen sie auch sehr erstaunt war, als Susanne ihr vor mehreren Jahren die Mitteilung machte, dass sie sich von ihm trennen würde. Die folgende Begründung allerdings war plausibel. Dieter hatte seine Neigung zum eigenen Geschlecht entdeckt und glaubte damals – wie in den folgenden Jahren noch öfter – seine neue große Liebe gefunden zu haben, mit der er auch sofort zusammenleben wollte.
In der ersten Zeit nach diesem Ereignis war Susannes weibliches Selbstbewusstsein, trotz aller rationalen Erkenntnisse, ziemlich angekratzt. Doch Dieter war der liebevollste und hilfreichste getrennte Ehemann, den man sich vorstellen konnte. Er kümmerte sich aufopfernd um sie und war immer da, wenn sie ihn brauchte. Er wollte sich auch nicht scheiden lassen, solange Susanne das nicht verlangte, sondern weiter für sie sorgen. Und er schenkte ihr zum Trost die Galerie im Prenzlauer Berg. Was nicht ganz uneigennützig war, denn er konnte Abschreibungsprojekte für sein prosperierendes Finanzberatungsunternehmen immer gut gebrauchen, und für Kunst und junge Künstler hatte er sowieso ein Faible. Mit einer Art Vaterstolz blickte Dieter auf Susannes Entwicklung als Galeristin, die in der Tat schon häufig ein Händchen in der Auswahl der von ihr gezeigten Künstler bewiesen hatte.
Auch die Präsentation der Werke ihres jungen russischen Freundes Michael schien ein Erfolg zu werden. Helene konnte das bereits an der Zeit ermessen, die nach der offiziellen Begrüßung und Vorstellung der Bilder sowie der anschließenden Büffeteröffnung verging, bis die ersten Besucher sich von den Bildern ab- und der phantastischen altrussischen Festtafel, stilvoll auf grünem Samt präsentiert, zuwendeten. Es dauerte diesmal ungewöhnlich lange! Dabei scheute Helene nicht den Vergleich ihrer Schöpfung mit der des Künstlers.
Fenster und eine Glastür im Hintergrund des hell erleuchteten Galerieraumes waren einem kleinen, verwilderten Garten zugewandt, einem anachronistischen Rest Natur mitten in dem Viertel aus alten Industriebauten und Gewerbehöfen, in dem Kopfbauch beheimatet war und das zur Zeit einen gewaltigen Aufschwung erlebte. Aus manchen hier ansässigen alternativen Kleinbetrieben hatte der wirtschaftliche Erfolg mittlerweile edle Unternehmen gemacht, so zum Beispiel die kleinfeine Klamottenmanufaktur und die als besonders frech gepriesene Werbeagentur nebenan, oder den Plattenproduzenten, der in einem der oberen Stockwerke residierte. Weniger erfolgreiche Kollektive waren verschwunden und an ihrer Stelle hatten jungforsche Softwarespezialisten und aufstrebende Immobilienfirmen Einzug gehalten. Das bunte Gemisch aus Manufakturen, Kreativbetrieben, Finanzwelt, Kunst- und Kulturstätten bescherte dem lange Zeit beschaulichen Stadtteil eine neue, quirlige Betriebsamkeit.
Im Licht, das aus der Galerie nach außen drang, konnte man die Büsche und Bäume sich biegen sehen. Ein böiger, kalter Wind zerrte an den letzten Blättern, und feiner Sprühregen ließ die um sich schlagenden Äste schwarz glänzen. Es herrschte das nasskalte Schmuddelwetter, das für den November so charakteristisch ist. Für Helene war dies eine ihrer Lieblingsjahreszeiten, was sie zum Entsetzen ihrer regelmäßig im Novembergrau depressiv werdenden Freundinnen mit gnadenloser Lust immer wieder betonte. Wenn es draußen kalt und ungemütlich wurde, wenn die Dunkelheit sich schon früh über die Stadt senkte, lebte sie in dem Widerspruch zwischen draußen und drinnen richtig auf. Dieses Gefühl, nach einem Aufenthalt in den feuchtkalten, düsteren Straßen wieder von Wärme und Licht umgeben zu sein, fand sie dem
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