Schatz, schmeckts dir nicht
war ein Apologet der italienischen Küche, die Helene für allgemein überbewertet hielt, und seine kunstvoll nachgekochten Menus verschlang sie, ohne eine Gemütsbewegung und ohne ein Sterbenswörtchen über deren Qualität. Sie kannte die Qualen eines Kochs, der zu stolz war, seine Gäste, um Anerkennung buhlend, zu fragen: »Na, schmeckt’s denn?« Niemals!
Joachim konnte, wenn es nicht gerade um Kochen und Essen ging, wo er sich bedauerlicherweise für eine Kapazität hielt, ein sehr charmanter und witziger Gesellschafter sein. Im Grunde mochte Helene ihn ganz gerne. Nun ja, diese kleinen Scharmützel würzten die Treffen und bewahrten die vertraute Runde vor dem Abgleiten in die Langeweile.
Sollte sie mit Namenskärtchen eine Tischordnung festlegen oder alles dem Zufall überlassen? Helene stand vor folgenschweren Entscheidungen.
Sie ging lieber auf Nummer sicher. Sie und Jan präsidierten jeweils an einem Kopfende der Tafel. Zu ihrer Linken sollte Bobby neben der mit Spannung erwarteten Frau Blume sitzen, dann der andere freie Mitarbeiter, trotz dreijähriger Betriebszugehörigkeit immer noch Herr Stöckl, dann Dorothea, Joachims Frau. Rechts neben sich platzierte sie Joachim, dann Maike, die redselige Sekretärin, gefolgt von Linus, dem Praktikanten. Und neben ihm sollte Bobbys Frau Ulli sitzen, sodass Jan von den Frauen seiner beiden Partner und Helene wiederum von diesen eingerahmt wurde. Perfekt!
Nachdem die theoretischen Vorarbeiten so weit abgeschlossen waren, folgte das Abfassen der Einkaufslisten: Weinhändler, Markt, KaDeWe, Blumengeschäft, Papierwaren – alles wurde generalstabsmäßig geplant. Und dann stürzte Helene sich in den Einkaufsstress. Das war zugegebenermaßen kein Zuckerschlecken. Die Stadt vibrierte bereits in vorweihnachtlicher Hektik und Betriebsamkeit, und die Aggressionsschwelle von Kunden wie Verkäufern in den Läden lag erkennbar noch niedriger als gewöhnlich. Auch in der Feinschmeckeretage standen noch mehr Touristen als üblich staunend im Wege herum. Ach ja, das Fest des Friedens und der Liebe. Aber was half’s, es musste sein und Helene wusste ja, der Einsatz würde sich lohnen und sie würde am Ende die ungekrönte Queen of Cooking sein, auch wenn Joachim wieder schweigen würde.
Drei Tage vor dem Festessen holte Helene die Rehkeule aus der Tiefkühltruhe und ließ sie auftauen. Der Anblick des Prachtstückes rief Erinnerungen an die genuss- und lehrreichen Tage auf Schloss Warthenstein wach und vergrößerte noch Helenes Ehrgeiz, der Gräfin Rezepte nachzukochen und unter die verwöhnten Großstädter zu bringen. Sie bereitete eine Beize aus Buttermilch, gewürzt mit Piment, Wacholderbeeren, Lorbeerblatt und zwei Möhren und legte die Keule in einer großen Schüssel darin ein, die sie mit einem sauberen Küchentuch bedeckte und in die kleine Speisekammer stellte, die sie nach ihren speziellen Angaben hatte bauen lassen. Dank einer guten Isolierung herrschten hier für Lebensmittel optimale Lagerbedingungen, und Helene durfte uneingeschränkt ihrem Eichhörnchentrieb in der Vorratshaltung frönen.
Punkt für Punkt konnte sie von ihrer Checkliste streichen, und zufrieden nahm sie zur Kenntnis, dass sie zeitlich gut im Rennen lag mit ihren Vorbereitungen. Sie erinnerte sich früherer Zeiten, als die Kinder noch um sie herumwuselten, während sie versuchte, ihre ehrgeizigen Kochträume zu verwirklichen. Was war das manchmal für ein Stress gewesen, diese unterschiedlichen Bedürfnisse unter einen Hut zu bringen! Aber sie hatte es trotzdem immer geschafft, dank hervorragender Organisation und eiserner Nerven, hatte die Kinder entweder zu Freunden gesteckt oder aber an den Kochereien beteiligt, ihnen auch noch ein Parallelessen serviert – Spaghetti oder Eierpfannkuchen – und sie zeitig ins Bett gebracht, um dann, wenn die Gäste eintrudelten, strahlend und frisch zum Empfang bereit zu sein. Schon früh hatte Helene sich so den Ruf der perfekten Gastgeberin erworben, während die anderen jungen Mütter immer nur verwundert die Köpfe schüttelten über ihren Elan und entgeistert fragten: »Wie machst du das bloß? Wie schaffst du das immer? Ich könnte das nicht.«
Darüber wiederum konnte Helene nur den Kopf schütteln. Diese Frauen hatten keine Ahnung, was es bedeutete, sich mit Leib und Seele der Kochkunst verschrieben zu haben. Sie hatten nie erlebt, wie vor Eifer die Wangen glühen und das Herz schneller schlägt, bei der Zubereitung einer
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