Schatz, schmeckts dir nicht
stattfinden. Die Phase der Menu-Entwürfe hatte Helene hinter sich, und auf einem ihrer Schmierzettel waren vier Positionen mit entschlossenem Schwung vom Kugelschreiber eingekreist: Orangenspalten auf Feldsalat mit Walnüssen und Croutons unter Balsamico Dressing, Lauchrahmsüppchen, Rehkeule nach Art der Gräfin Warthenstein – Beilagen? Und: Dunkle Weihnachtstorte oder Poire Belle Hélène.
Auch wenn sie erst erwogen hatte, zum Reh ausgefallenere Beilagen zu wählen, etwa Polenta oder Kürbis, entschied sich Helene dann doch für den traditionellen Rotkohl, Preiselbeeren und Klöße, da dies am besten mit dem Rezept der Gräfin harmonierte. Beim Dessert stellte sich die Frage, ob sie ihre Gäste mit der schweren, bittersüßen, nach sämtlichen Weihnachtsgewürzen duftenden, saftigen Torte beeindrucken wollte, oder aber die altbekannte Birne Helene, leicht variiert, servierte, in der Hoffnung, dass die Namensgleichheit bemerkt würde. Noch hatte sie Zeit, sich das zu überlegen.
Eine neue Liste wurde begonnen. Welche Getränke? Als Aperitif schlicht und einfach ein Champagner. Zum Essen dann ein wunderbar samtiger Saint Emilion und reichlich Mineralwasser für zwischendurch. Dann natürlich Mokka und ein Digestif, irgendein edler Obstbrand am besten.
Nun kam Helene zu den kleinen Schnörkeln, die ein festliches Menü erst vervollkommnen: Etwas Käsegebäck zum Aperitif, französisches Landbrot und frische Rohmilchbutter zu Suppe und Salat, und zum Kaffee noch ein paar kleine süße Verführungen. Ja, sie würde aus diesem Abend schon ein Gesamtkunstwerk machen! Von Vorfreude beseelt, wandte sie sich dem letzten Punkt ihrer theoretischen Vorarbeit zu, dem Gestalten der Tafel.
Dem weihnachtlichen Anlass angemessen, durfte es durchaus etwas bombastischer zugehen. Grundfarben: Weiß und Grün. Also weißes Tischtuch mit weißen Stoffservietten, das ererbte Meißener Service mit der grünen Ranke und das Familiensilber, kleine Arrangements aus Efeu und Christrosen, weiße Kerzen in silbernen Leuchtern, und natürlich die schweren Kristallpokale, deren Schliff immer so dekorativ im Kerzenschein funkelte. Schön wären ja noch kleine Schokolade-Figürchen in silbrig-grünem Papier für jeden Teller. Helene wollte auf jeden Fall danach suchen in den Confiserieläden der Stadt.
Und suchen musste sie schließlich auch nach einem passenden Outfit für sich selbst. Es war schon vorgekommen, dass sie in all dem Vorbereitungseifer für eine Festivität erst viel zu spät daran gedacht hatte, dass sie an diesem Abend ja auch nicht das Aschenputtel spielen wollte. Schließlich waren die regelmäßig stattfindenden festlichen Veranstaltungen in diesem Kreise stets Anlass für unausgesprochene Konkurrenzen auf verschiedenen Gebieten. Da gab es unter anderen den Wettbewerb um die bestangezogene Frau oder die genialste Köchin/den genialsten Koch, die ausgefallensten Veranstaltungsorte, die abgefahrensten Getränke oder auch die geistreichste Unterhalterin. Und wenn auch offiziell keine Trophäen verliehen wurden – Helene war überzeugt, dass sie schon einige für sich errungen hatte.
Ihre diesbezüglichen Erfolge genoss sie stillschweigend. Es hätte auch keinen Sinn gemacht, Jan mit der Thematik zu behelligen – wie die meisten Männer in der Runde bekam er natürlich von den dramatischen Rivalitäten nichts mit. Höchstens Joachim, neben Bobby einer von Jans Partnern, war ein nicht zu unterschätzender Gegner im Kampf um den goldenen Kochlöffel. Vermeintlich unauffällig würde er wieder strenge, prüfende Blicke über seine Lesebrille auf die Tafel werfen, und forschend mit seinem verwöhnten Gaumen die servierten Speisen untersuchen, ob sie denn auch fachliteraturgetreu bereitet und im Geschmack getroffen seien. Nie kam ein uneingeschränktes Wort des Lobes über seine Lippen, lieber biss er sich seine feine Zunge ab. Frauen konnten seiner Meinung nach sowieso nicht kochen – die seine, das gab Helene allzu gerne zu, wahrhaftig nicht –, und er führte als Beweis an, dass immer noch bevorzugt Männer in den Restaurants dieser Erde ihre Kunstwerke kreierten und nicht etwa Köchinnen. Wenn die anderen Gäste Helene mit Lob überhäuften und den fein vor sich hin Schweigenden fragten: »Schmeckt doch toll, findest du nicht, Joachim?«, ließ der sich höchstens zu einem müden »Doch, ja, natürlich« herab und das war’s.
Auge um Auge, Carpaccio um Carpaccio zahlte ihm Helene bei seinen Einladungen zurück. Er
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