Schatz, schmeckts dir nicht
Schlückchen von ihrem Rotwein – und dann wieder an die Arbeit!
Gerade hatte sie die Vorspeisenteller auf der Festtafel verteilt, als es das erste Mal klingelte. Und dann ging es Schlag auf Schlag. Jan machte den Empfangschef. Punkt acht hatte als Erster der korrekte Herr Stöckl mit einer Großpackung Konfekt – Weinbrandkirschen! – für die Dame des Hauses vor der Tür gestanden. Wie immer verunsicherte ihn die Tatsache, beim Chef zu Gast zu sein, und er stand steif und ungelenk in der Gegend herum. Zum Glück erschienen, kaum hatte er sich aus dem Mantel gepellt, Bobby und Ulli, und er konnte sich der alleinigen Aufmerksamkeit seiner Gastgeber entziehen.
»Mensch, Helene! Wir haben uns lange nicht gesehen, was? Ich freu mich.« Bobby drückte Helene herzlich.
»Ja, Bobby, ich freu mich auch.«
Sie versuchte, zwei Begrüßungsküsse auf seine Wangen zu hauchen. Der gute Bobby war fast einen Kopf kleiner als sie, ein kompakter, inzwischen etwas rundlicher Typ, mit einem ausgeglichenen, freundlichen Wesen. Helene mochte ihn sehr. Mit einem verschwörerischen Lächeln hielt Ulli ihr ein Marmeladenglas, um das sie eine große Schleife geknotet hatte, vor die Nase.
»Hier meine Liebe, du weißt schon, der Chutney. Blumen folgen nächste Woche!«
Mit einem Seitenblick auf die bräunliche Masse in dem Behältnis zwang sich Helene zu einem freundlichen »Vielen Dank!« und stellte es schnell beiseite. Unvermeidlich folgten Küsschen, Küsschen. Dabei tätschelte Helene zärtlich den Bereich, wo einst Ullis Taille war und fragte liebenswürdig: »Ullichen, wie geht es dir, hast du etwa abgenommen?«
Ulli löste sich sofort aus der prüfenden Umklammerung und verdrehte mit einem Stoßseufzer die Augen gen Himmel.
»Im Gegenteil! Die Weihnachtszeit ist immer mein Untergang, all die Kekse und Lebkuchen. Und dann solche Einladungen wie bei dir heute. Da muss man ja aus dem Leim gehen!«
Na klar, die anderen waren wieder schuld. So lange sich Helene erinnern konnte, hatte Ulli die Form eines Monolithen und versuchte sie durch zeltartige Gewänder zu verhüllen, was natürlich schief gehen musste. Und wenn etwas zum Kauen oder Knabbern in ihren Gesichtskreis kam, griff sie zu, bis nichts mehr da war. Diese Disziplinlosigkeit war Helene so fremd, dass sie Ullis Dicksein schon fast als Charakterschwäche empfinden musste.
Mittlerweile waren Maike und Linus auf der Bildfläche erschienen. Offensichtlich hatten sie ihr gemeinsames Kommen verabredet, denn sie überbrachten auch gemeinsam einen dieser gerade so modernen Sträuße exotischer Pflanzen und Gemüse.
»Herzlich willkommen! Was haben Sie da für ein apartes Arrangement mitgebracht. Vielen Dank. Das ist ja wunderschön!«, beteuerte Helene pflichtgemäß und nahm das Ungetüm entgegen. Maike, die natürlich für die Wahl verantwortlich zeichnete, nahm dankbar das Kompliment auf. Sie war eine unscheinbare, kleine Person mit einem Gesicht, das man sah und wieder vergaß. Daraus resultierte wahrscheinlich ihr Drang, mit allen Mitteln Aufmerksamkeit zu erregen. Mal ließ sie sich gänzlich das Kopfhaar rasieren, was ihr nicht gerade schmeichelte. Im Sommer dann war auf ihrer Schulter plötzlich ein Tattoo zu bewundern. Natürlich war Boxen ihr Lieblingssport, und zwar aktiv. Und obwohl das schon lange nicht mehr der letzte Schrei war, hatte sie sich neulich so ein silbernes Ding durch den Nasenflügel bohren lassen, mit dem Effekt, dass sich jetzt alle paar Sekunden ein nervöses Nasenzucken bei ihr einstellte. Jedenfalls schuf sie sich immer die Möglichkeit, über ihr Lieblingsthema, sich selbst und ihre aufregenden Neigungen, mit ihrer monotonen Stimme in aller Ausführlichkeit zu referieren. In Linus, dem rotwangigen Praktikanten, hatte sie scheinbar jemanden gefunden, der tatsächlich von ihr beeindruckt war. Sei ihr das doch auch einmal vergönnt, dachte Helene großzügig. Da gerade Dorothea mit Joachim hereingerauscht kam, wurde Helene von der Pflicht erlöst, sich Maikes minutiöse Erklärung über das Zustandekommen des Exotenstraußes bis zum bitteren Ende anzuhören.
Jan hatte schon den Champagner geöffnet und schenkte an seine Gäste aus. Helene nahm sich zwei gefüllte Gläser und trat auf Dorothea zu.
»Gut schaust du heute wieder aus, meine Liebe! Ich grüße dich!«
»Guten Abend, Helene! Ich darf dir das Kompliment zurückgeben! Vielen Dank für eure reizende Einladung.«
Helene reichte Dorothea das Glas, und Wange an Wange, ohne
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