Schatz, schmeckts dir nicht
gaben sich die Hand und Jan, das sah Helene an seinem Gesicht, verzieh ihr natürlich auf der Stelle.
»Ich freue mich, Sie kennen zu lernen! Guten Abend! Bitte entschuldigen Sie mein Zuspätkommen, aber ich erhielt, gerade als ich aufbrechen wollte, noch einen wichtigen Anruf. Ich hoffe, ich platze jetzt nicht störend in die Runde.«
»Nein, überhaupt kein Problem. Die Freude ist ganz meinerseits, endlich Ihre Bekanntschaft zu machen. Herzlich willkommen!« Helene schaltete von Lächeln auf Strahlen. Sie ist mindestens zehn Jahre älter als ich, war ihre erste, erleichterte Reaktion und im nächsten Moment fand sie sich selbst ziemlich albern. Ein eigenartiger Geruch umgab die Ankommende. Irgendwie ziemlich süß und schwer, mit einer herben, fast muffigen Note. Befremdliche Mischung. Keines der üblichen Duftwässerchen.
Für eine Frau war sie ganz schön groß. Fast so groß wie Jan. Auch die Hände groß und kräftig, die Haut etwas rau. Und was für ein Händedruck! Zupackend, warm und hört gar nicht auf! Gerne wäre Helene dieser Berührung schnell wieder entronnen. Doch ihr Gegenüber blickte ihr mit konzentrierter Aufmerksamkeit in die Augen und ließ die Hand nicht los. Helene fühlte sich unbehaglich. Nach einer Ewigkeit, so kam es ihr vor, lösten sich endlich Griff und Blick, und Diane überreichte ihr ein kleines, stoffumhülltes Päckchen.
»Ein kleines Gastgeschenk. Es möge Ihnen Glück bringen!«
»Vielen Dank! Ich werde es dann später öffnen. Legen Sie doch ab, bitte. Jetzt wollen wir erst einmal essen, bevor die Ersten vor Hunger umkippen.« Helene versuchte witzig zu sein. Aber da war schon wieder dieser wissende und gleichzeitig prüfende Blick, und sie kam sich nur noch dämlich vor. Jedes Wort war plötzlich falsch und kriegte eine andere Bedeutung. Zum Glück war Jan jetzt an der Reihe und nahm Diane den roten Samtmantel ab. Es war der Gleiche, den sie damals am Flughafen schon gesehen hatte, nur hatte Diane jetzt gegen die Kälte ein dickes, schwarzes Wolltuch darüber drapiert. Unter ihrem Mantel trug sie eine bunt bestickte Bluse mit weiten, weich fallenden Ärmeln, dazu einen langen, schwarzen Rock aus einem handgewebt wirkenden Stoff. Um ihre schmale Taille hatte sie einen breiten, schwarzen Ledergürtel mit einer riesigen silbernen Schnalle in Form zweier Schildkröten geschlungen, und aus Silber war auch die Kette, die sich wie eine Schlange um ihren Hals legte. Friedensgruppeneleganz, dachte Helene. Sieht aber nicht mal schlecht bei ihr aus.
Bis auf ein kräftiges Rot, das den energischen Schwung ihrer Lippen betonte, trug sie augenscheinlich kein Make-up. Die kastanienroten Haare waren locker am Hinterkopf zusammengesteckt, was noch besser ihre verschwenderische Fülle zur Geltung brachte. Aber bestimmt war die Farbe nicht echt. Wahrscheinlich mit Henna nachgeholfen.
Bon. So also sah die Frau aus, mit der Jan in den nächsten Monaten eine Menge Zeit verbringen würde. Helene hatte eigentlich eine jungdynamische, knallharte Karrierefrau erwartet. Das war Diane nun ganz bestimmt nicht und insofern beruhigend. Man wusste ja, dass solchen Mädels für ihren beruflichen Aufstieg alle Mittel recht waren. Helene gab sich erst einmal Entwarnung und beschloss, die Dinge auf sich zukommen zu lassen.
Augenblicklich kehrte die erwartungsfrohe Stimmung zurück, die sie gewöhnlich bei ihren Gastmählern erfüllte, und mit federnden Schritten ging sie ihrem Gast zur Tafel voraus. Natürlich wandten sich ihnen alle Augen zu und Helene stellte gutgelaunt vor:
»Für Ulli und Dorothea, die so lange auf die Folter gespannt wurden: Das endlich ist Diane. Die anderen Herrschaften kennen sich ja. Ich denke, dann sollten wir mit dem Essen beginnen. Nehmen Sie doch bitte Platz, dort zwischen Herrn Stöckl und Bobby. Dann wünsche ich allerseits guten Appetit!«
»Danke gleichfalls!«
Allgemeines Gemurmel, böse Blicke von Ulli und Dorothea, Servietten wurden entfaltet, Bestecke klapperten – endlich war Helene dran. Es senkte sich Stille über die Runde, bis nach den ersten Happen vereinzelte Wohllaute erklangen. Natürlich sagte Joachim nichts, aber an dem Eifer, mit dem er seiner Portion zu Leibe rückte, konnte Helene sofort ablesen, dass es ihm vortrefflich mundete. Sie warf einen Kontrollblick auf Diane. Auch die mahlte versonnen mit den Kiefern und schien intensiv zu genießen. Gut so. Helene selbst aß eher unkonzentriert. Hunger hatte sie nach einer solchen Kochorgie sowieso nicht
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