Schatz, schmeckts dir nicht
mich schon mit sehr viel weniger begnügen. Meine Freunde in Indien könnten eine ganze Woche von dem leben, was wir hier heute Abend verzehren.« Diane blickte arglos lächelnd in die Runde, der der kleine Dialog nicht entgangen war.
»Aber lassen Sie sich durch mich nicht stören. Bitte!«
Natürlich kam das Herumreichen und Vorlegen des Wildgerichts doch ins Stocken, was Helene mit Missfallen zur Kenntnis nahm. Und jetzt war auch noch die dämliche Ulli zu vernehmen.
»Ach, Sie sind Vegetarierin! Wie interessant! Salmonellen in den Hühnereiern, Hormone im Kalbfleisch, Rinderwahnsinn, Vogelgrippe und, und, und. Man weiß ja heute schon wirklich nicht mehr, was man noch essen kann.« Eigentlich sah Ulli ja nicht so aus, als ob sie das nicht wüsste, doch sie gab diese Plattitüde von sich, ohne rot zu werden.
»Aber ich hab neulich gelesen, so ganz ohne Fleisch, das soll ja auch nicht so gesund sein!«
»Mir geht’s sehr gut dabei, und das schon seit vielen Jahren«, antwortete Diane milde lächelnd.
»Und warum essen Sie kein Fleisch?« Ulli ließ das unerquickliche Thema nicht ruhen.
»Oh, das war ein langwieriger Prozess. Es führt jetzt zu weit, hier ins Detail zu gehen, nur so viel: Wenn man eine ganzheitliche Lebensweise als die richtige für sich erkannt hat, gelangt man automatisch dahin, tote Lebewesen nicht mehr verzehren zu wollen.«
»Du stehst noch ganz am Anfang dieses Weges, nicht Ulli?« Mit dieser launigen Bemerkung an eine verständnislos vom Teller aufschauende Ulli, versuchte Helene die Regie wieder an sich zu ziehen.
»Wir alle sind noch der gemeinen Fleischeslust verfallen und wollen ihr jetzt mal wieder so richtig frönen.«
Ein spöttisches Lächeln blitzte in Dianes Augen auf, als sie erst leiser, an Helene gewandt, meinte: »Oh, gemeinhin habe ich mit der Fleischeslust auch keine Probleme«, und dann lauter in die Runde sagte: »Ich wünsche allen einen guten Appetit!«
Damit lehnte sie sich zufrieden auf ihrem Stuhl zurück. Auch wenn diese Frau sich nur an Pflanzlichem labte, das scheue Reh gab sie nicht, stellte Helene bei sich fest.
Man wandte sich also endlich dem Hauptgang zu. Doch es geschah eher zögerlich und der Zauber, den Helenes Kochkunst sonst verbreitete, schien sich nicht mehr über die Tafel legen zu wollen. Helene kriegte kaum einen Bissen herunter, sie war satt von Dianes Auftritt. So ein Quatsch, sagte sie sich im nächsten Moment, ihr bescheuerter Vegetarismus ist doch keine böse Absicht! Völlig sachlich hatte Diane nichts weiter getan, als klarzumachen, dass sie eben kein Fleisch aß. Andererseits, dieses salbungsvolle Gequassel über ihre ganzheitliche Lebensweise, das war Helene so fern wie der Jupiter.
Die Tischgespräche drehten sich fortan, wer hätte das gedacht, natürlich weiter um den Vegetarismus. Helene beschloss, die sich um Schloss Warthenstein rankenden Anekdötchen über Schweißfährten und Jagdgefährten, die sie hatte zum Besten geben wollen, lieber für sich zu behalten. Um sie herum versicherte man sich nämlich gerade seiner Tierliebe, um der Vegetarierin zu beweisen, dass auch Fleischesser keine Unmenschen sind. Diane nahm diese Bemühungen eher amüsiert zur Kenntnis. Sie gab das leuchtende Vorbild an Toleranz.
»Auch wenn ich selbst kein Fleisch esse, so kann ich damit leben, dass andere es tun. Aber ich finde es gut, wenn mein kleines Beispiel andere zum Nachdenken bringt. Natürlich denke ich, dass es für die ganze Menschheit ein unendlicher Gewinn wäre, nicht mehr das Fleisch toter Tiere zu essen. Denken Sie allein an die CO²-Problematik durch die Massentierhaltung und den Hunger in der Welt! Doch das muss der Einzelne mit seinem Gewissen abmachen.«
Immerhin hielten sich die Gewissensbisse der anderen Gäste in Grenzen. Sie schienen jetzt sogar Genuss beim Verspeisen der Keule des toten Rehs zu finden, denn die meisten ließen sich eine zweite Portion gefallen. Der Magie des aromatischen, dunklen Fleisches, der weißen Klöße, die wie Samt und Seide unter der glänzendbraunen, köstlich duftenden Soße hervorlugten, und dem fein nach Gewürzen schmeckenden Rotkohl, konnten sie sich auf Dauer eben doch nicht entziehen. Helene war halb versöhnt. Man blieb trotzdem beim Thema. Jetzt war man bei der Feststellung angelangt, dass inzwischen jedes Restaurant, das auf sich hielt, zumindest eine kleine Auswahl vegetarischer Gerichte auf der Karte führte. Da hatte Helene, die sich zur Avantgarde der Kochkundigen zählte, wohl
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