Schatz, schmeckts dir nicht
erfüllte Helene jedes Mal mit leisem Missbehagen, doch sie konnte nicht plötzlich anfangen, sich darüber zu beschweren, nachdem sie es früher immer klaglos hingenommen hatte.
Auch mit dem Anspruch eines familiären Abendessens war er nicht loszueisen, denn das gab es angesichts der mittlerweile so selbständigen, oft aushäusig essenden Kinder ohnehin nicht mehr. Und besorgte Ermahnungen, er müsse auch an sich denken und nicht zu spät und regelmäßig etwas zu sich nehmen, konterte er mit einem beruhigenden Lächeln.
»Im Büro sorgt Diane hervorragend für unser leibliches Wohl. Da brauchst du dir wirklich keine Sorgen zu machen.«
»Na, dann bin ich ja beruhigt.« Von wegen! »Aber immer nur belegte Brote ist ja auch nicht das Wahre«, versuchte Helene ihn zu überzeugen.
»Was glaubst du! Wenige Tage nachdem sie bei uns angefangen hatte, hat sie die Mikrowelle in unserer Teeküche eingemottet und einen kleinen Herd mit Backofen dort aufgestellt. Von da ab war Schluss mit Fertiggerichten, Pizzadienst und belegten Brötchen! Und seitdem verwöhnt sie uns mit Suppen, Salaten, Aufläufen, Gemüsetorten, Eintöpfen – toll! Diane hat eine ungeheure Energie. Stell dir vor, sie bereitet das alles immer schon nachts zuhause vor! Sie sagt, sie betrachtet den Umgang mit all den natürlichen Lebensmitteln, also auch das Gemüseputzen, ja, das Kochen überhaupt, als eine Art Meditation.«
»Ach was«, Helene konnte gar nicht sagen, wie sehr beeindruckt sie war.
»Bis auf Herrn Stöckl beteiligen sich inzwischen alle im Büro an dem gemeinsamen Mittagessen.«
»Und abends?«
»Ach so, abends. Tja, da bin ich oft allein oder mit Diane im Büro, manchmal bleibt Joachim auch länger, und da gibt’s meist nur noch eine Kleinigkeit, Reste vom Mittagessen oder ein Sandwich, einen Salat, was Leichtes eben.«
»Das überrascht mich etwas, dass Diane so einen Aufwand für eure Verpflegung betreibt. Sie bezeichnete Essen doch bei unserer Weihnachtsfeier als totale Nebensächlichkeit, wenn ich mich recht erinnere!«
»Was heißt hier Aufwand? Essen muss der Mensch. Und er sollte vor allem das Richtige essen. Diane meint …«
Oh bitte, nicht schon wieder! Helene hatte für heute genügend Unerfreuliches gehört. Diese Frau legte wahrlich ein ungeheures Tempo vor!
»Apropos Diane. Sagtest du neulich nicht, da steht eine Einladung ins Haus?«
»Stimmt! Gut, dass du mich daran erinnerst. Nächste Woche Samstag sind wir bei ihr eingeladen. Außer den Kollegen werden auch einige gute Bekannte oder Freunde aus Dianes Umkreis da sein. Das wird bestimmt interessant.«
Dieser Meinung war Helene auch. Sie würde erstmalig die vegetarische Kochkunst ihrer Konkurrentin in Augenschein nehmen können und mit eigenem Gaumen beurteilen können, was dahinter steckte. Für Helene stand inzwischen fest, dass hier ein knallharter Wettbewerb im Gange war. Und dass es dabei nicht um das Erringen der goldenen Gurke ging, war ebenso klar.
Es hieß sich also auf diese Begegnung gut vorbereiten. Die erste Frage, die sich stellte, war die alt bekannte: Was ziehe ich an? Jan konnte ihr da schon gar nicht helfen, denn er durfte keinesfalls merken, welche Bedeutung sie diesem Zusammentreffen beimaß und außerdem hatte er, wie die meisten Männer, sowieso kein Gefühl für die Dimension der Kleiderfrage. Auch über ein originelles und passendes Gastgeschenk musste sie nachdenken, nicht zuletzt fand das Ganze ja auch noch vor Publikum statt. Aber ihr würde schon etwas einfallen.
Ihr Ehrgeiz war geweckt und tief in ihr drinnen mischten sich archaische Ängste mit der Hoffnung, dass sie natürlich die Überlegene bleiben würde. Der Spannungszustand, in dem sie sich dabei befand, machte sie zwar nervös, aber sie fühlte sich im Kopf klar wie nie.
Der harte Frost legte eine Pause ein und am Nachmittag vor Dianes Einladung begann es wieder einmal kräftig zu schneien. Helene und Jan fuhren mit der U-Bahn bis Onkel Toms Hütte und legten das letzte Stück des Weges über die Riemeisterstraße zu Fuß zurück. Hier, im Außenbezirk, war der Winters viel deutlicher zu spüren als in der Innenstadt, die Nebenstraßen waren nicht vom Schnee geräumt, in den Gärten standen Schneemänner und neben der Haustüre lehnte oft ein Schlitten, manchmal sogar ein Paar Skier. Es war wunderbar ruhig hier draußen, sie begegneten weder Autos noch Fußgängern, und aus den hohen Fenstern mancher Villen, die die Straße in gebührendem Abstand durch die sie
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