Schatzfinder
leiten, sondern um durchbrochen zu werden.
Aber Mauern sind nicht dazu da, um uns zu leiten, sondern um durchbrochen zu werden. Sie zeigen uns nicht, wo es langgeht, sondern sie zeigen uns,wie sehr wir etwas wollen. Durchbrechen wir sie, dann wollen wir wirklich! Mauern sind einzig dazu da, uns die Chance zu geben, zu zeigen, wie sehr wir etwas wollen.
Der Blick für das Unwesentliche
Mauern durchbrechen, das erfordert aber einen gewissen Mut oder zumindest eine gewisse Lockerheit, eine Sorglosigkeit im Umgang mit dem Leben, wohl wissend, dass die Sicherheit innerhalb der Mauern nur eine selbst gebaute Illusion ist. Den Mut braucht es vor allem, um gegenüber dem sozialen Druck des Umfelds zu bestehen. Kurt Tucholsky wusste: »Nichts ist schwerer und erfordert mehr Charakter, als sich in offenem Gegensatz zu seiner Zeit zu befinden und zu sagen:
Wer »Ja« sagt und »Nein« meint, der hat Stress.
Nein!« Wer »Ja« sagt und »Nein« meint, der hat Stress.
Aber selbst während ich dies schreibe, orientiere ich mich schon wieder an den Regeln: Ich zitiere Kurt Tucholsky ja nur deshalb, weil er schon über 70 Jahre tot ist und seine Werke damit laut Gesetz gemeinfrei sind. Ich unterwerfe mich dem Gesetz und würde darum niemals so verwegen sein, Karl Valentin zu zitieren, denn bekanntermaßen haben dessen Erben genügend Zeit, jeden aufzuspüren, der Karl Valentin zitiert, und ihn abzumahnen. Bei ihm fehlen eben noch fünf Jahre zur Gemeinfreiheit seines Werkes.
Ich wäre dumm, wenn ich die Verbreitung meines Buches gefährden würde durch das Zitat eines zu spät Gestorbenen mit geschäftstüchtigen Enkeln, also füge ich mich. Warum? Weil es nicht wesentlich ist. Es geht auch ohne Karl Valentin. Kurt Tucholsky ist weise genug.
Manchmal fehlt uns aber einfach der Blick, um das Wesentliche vom Unwesentlichen zu unterscheiden. Ingenieure haben mir einmal ein gutes Beispiel dafür geliefert. Ich durfte für den VDI, den Verein Deutscher Ingenieure, vor einigen hundert Ingenieuren einen Vortrag halten. Meines Wissens ist der VDI einer der größten und engagiertesten Vereine Deutschlands. Es ist ein traditionsreicher Verein mit über 150 Jahren bewegter Geschichte. Aus ihm heraus oder unter seiner Beteiligung wurden so einflussreiche und typisch deutsche Errungenschaften wie der TÜV, die DIN-Normen oder das Patentgesetz verwirklicht. Auch Mut zählte durchaus zu den gerühmten Eigenschaften der deutschen Ingenieure. Beispielsweise stellten sie sich hinter Graf Zeppelin, als dieser vom Kaiser als der »Dümmste aller Süddeutschen« bezeichnet wurde und seine Pläne zum Bau eines Luftschiffs von oberster Stelle blockiert wurden.
Manchmal fehlt uns aber einfach der Blick, um das Wesentliche vom Unwesentlichen zu unterscheiden.
Voller Hochachtung machte ich mich im Vorfeld meines Vortrags ein wenig schlau, welche Ziele der Verein heute verfolgt und mit welchen Problemen die Ingenieure gerade zu kämpfen haben. Ein Teilnehmer informierte mich darüber, dass in den vielen Prüfschleifen zur Entwicklung von Produkten die Ingenieure typischerweise immer nur darauf aus seien, Fehler zu entdecken. Und das sei ein Problem.
Fehlersuche als Daseinszweck: Denn jeder Fehler, der entdeckt wird, gibt dem Ingenieur die Chance, ihn zu lösen und damit das Produkt zu verbessern. Allerdings hat diese Fixierung auf die Fehlersuche einen großen Nachteil: Er kann vom Wesentlichen ablenken. Um das zu verdeutlichen, erzählte mir der Ingenieur einen typischen Ingenieurswitz:
Zwei Ingenieure treffen sich. Fragt der eine: »Hast du ein neues Fahrrad?« Sagt der andere: »Ja, und das kam so: Als ich gestern durch den Park spazieren ging, fuhr eine Frau an mir vorbei, sah mich, sprang vom Rad, riss sich die Kleider vom Leib und schrie: ›Nimm dir, was du brauchst!‹ Gut, dachte ich – und nahm das Fahrrad.« Der erste Ingenieur denkt kurz nach und nickt dann zustimmend: »Gute Wahl. Die Kleider hätten vermutlich nicht gepasst!«
Ein Witz ist immer eine kleine Erleuchtung.
Ein Witz ist immer eine kleine Erleuchtung. Es ist schon so – ob wir nun Ingenieuresind oder nicht –, dass wir den Wald oft vor lauter Bäumen nicht sehen und es uns leichtfällt, statt dem Wesentlichen die guten Erklärungen zu finden, was alles unmöglich ist und warum.
Bei vielen Mitarbeitern, die ich als Chef in meinem Berufsleben erlebt habe, fand ich das gleiche Muster: Zwar sind einige immer auch offen und denken zuerst nach, bevor sie als Zweites den
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