Schatzfinder
Gedanken bewerten und ihm dann zustimmen oder ihn ablehnen. Die meisten allerdings drehen diese Reihenfolge um: Die Bewertung – und das bedeutet fast immer: die Ablehnung – steht schon fest, und das Nachdenken, das erst an zweiter Stelle kommt, hat nur noch den Zweck, plausible Gründe zu finden, die die Ablehnung rechtfertigen.
Ich erinnere mich an eine Mitarbeiterin, da hätte ich Wetten abschließen können, dass sie zu jedem einzelnen Vorschlag, der aufkam, innerhalb von einer Minute auf kreativste und zuverlässigste Weise mindestens ein Argument formulieren konnte, warum es nicht geht, den Vorschlag zu realisieren. Mittlerweile ist mir klar, warum sie das macht: Sie sieht es als ihre Aufgabe an. So wie die Ingenieure, die ihren Daseinszweck in der Fehlersuche finden.
Ich finde so etwas nicht schlimm. Aber es hat Konsequenzen. Für mich als Chef bestand die Konsequenz beispielsweise darin, dass ich mir gut überlegen musste, ob ich so eine Mitarbeiterin überhaupt beschäftigen konnte. An der falschen Stelle eingesetzt, kann so jemand ein Geschäft vollständig in den Innovationsstillstand, in die Erstarrung und Versteifung und damit an den Rand des Abgrunds argumentieren.
Als Visionsentwicklerin wäre sie nicht nur in meiner Firma schon vor der Frühstückspause gescheitert. Aber ich fand einen Platz: Sie half uns in der Vertragsgestaltung mit Kooperationspartnern und zeigte uns mögliche Lecks oder undichte Stellen.
In einem Team sind logischerweise auch talentierte Bedenkenträger wichtig, jedenfalls an manchen Stellen.
Großartig! In einem Team sind logischerweise auch talentierte Bedenkenträger wichtig, jedenfalls an manchen Stellen. Nur eben nicht an Stellen, wo es darumgeht, das Wesentliche zu tun und das Unwesentliche zu lassen und beides voneinander zu differenzieren.
Erfahrung ist das, was man bekommt, wenn man nicht das bekommen hat, was man wollte.
Aber auch für die Menschen selbst und ihr Leben hat das Konsequenzen: Die Mitarbeiterin fährt ihre mittlerweile volljährige Tochter immer noch persönlich zum Zahnarzt – es könnte ja etwas passieren … Jeder wie er meint. Für mich persönlich wäre der Preis dieser Lebenseinstellung bei Weitem zu hoch. Denn Fehler erzeugen Erfahrung. Erfahrung ist das, was man bekommt, wenn man nicht das bekommen hat, was man wollte. Auch das hat seinen Wert, wie die Legende von Rockefeller zeigt, dessen Mitarbeiter kündigen wollte, nachdem dieser über eine Millionen Dollar in den Sand setzte. Rockefeller ignorierte ihn und meinte: »Jetzt, wo ich über eine Million Dollar in Ihre Ausbildung investiert habe, werde ich den Teufel tun und Sie gehen lassen«
Schlimm ist so eine Angststarre vor allem dann, wenn man nicht nur sich selbst versteift, sondern auch andere, manchmal viele andere, nämlich als Führungskraft.
Führungssteif
Viele Führungskräfte, die Karriere gemacht haben, haben ihren Posten deshalb bekommen, weil sie sich nach oben hin versteift haben. Man ist so steif! Viele von ihnen haben streng nach den ungeschriebenen Regeln und Usancen gespielt und nicht das getan, was sie tun wollten, sondern das, was sie glaubten, was sie tun müssen. Wer wird heute Präsident eines politischen Verbands? Der Steifste von allen! Der Regelbewussteste von allen. Der Konformste und Konventionellste von allen. Wenn Sie der Präsident eines politischen Verbandes sind und ganz anders ticken, melden Sie sich bitte bei mir, damit ich mich persönlichbei Ihnen entschuldigen kann! Es soll ja immer mehr Ausnahmen geben.
Es ist zwar durchaus angenehm, einen konformistischen Chef zu haben. Aber auf der anderen Seite: Wenn ein Chef nur über das Befolgen von Regeln existiert, nur Rücksicht auf die Umstände nimmt, immer nur angepasst und konservativ-bewahrend agiert und seine eigene Persönlichkeit und seinen eigenen Willen jederzeit zurückstellt, dann ist das auf Dauer sehr schädlich. Denn abgesehen davon, dass sich der zurückgestellte Wille hintenherum Ventile sucht, verbreitet sich diese steife Lebenshaltung nach unten in die Organisation. Sie unterbindet jede Entwicklung, sie tötet Innovationen im Keim, sie bügelt Ecken und Kanten nieder, sie langweilt. Und sie pflanzt sich fort, denn Steifi stellt Steifi ein und Steifi befördert Steifi. Als Umstandsanpassungsspezialist kann man sogar Bundespräsident werden. Zumindest kurzzeitig. Aber das ist in Wahrheit schlimm. Denn mit der Zeit wird so eine Organisation oder Gesellschaft immer mittelmäßiger. Sie
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