Schatzfinder

ja wehrhafte, erwachsene Leute. Wie haben die das gemacht? Wurden Sie gefesselt? Entführt? Gepackt und hierher geschleift?«
    Ich schaute in verblüffte Gesichter und setzte noch einen drauf, um es ganz deutlich zu machen: »Na, jetzt verstehe ich,wahrscheinlich wurden Ihre Lebenspartner festgehalten, womöglich gar Ihre Kinder! Und die werden erst dann wieder freigelassen, wenn Sie auf die Tagung gehen. Wahnsinn. Was für ein Aufwand! So viele Frauen und Kinder entführen – das muss man erst mal hinbekommen!«
    Jetzt lachten manche. Einer witzelte: »Nein, wenn das meine Frau hätte auslösen können, dann wäre ich erst recht nicht hierher gekommen …«
    Die Auflösung war natürlich, dass wir immer da sind, wo wir sein wollen – und zwar prinzipiell.
    Doch, doch, ganz im Gegensatz zu unserem ständigen Jammern haben wir – wie schon Reinhard K. Sprenger feststellte – genau den Job, den wir uns ausgesucht haben in genau der Branche, die wir uns ausgesucht haben. Wir leben mit genau der Partnerin zusammen, die wir uns ausgesucht haben, genau in der Stadt und in dem Haus, die wir uns ausgesucht haben. Und wir sitzen genau in den Tagungen, Seminaren und Vorträgen, die wir uns ausgesucht haben. Alles freiwillig!
    Wenn Sie jetzt gut hinhören, dann hören Sie mit mir gemeinsam die empörten Zwischenrufer: »Aber das ist doch nicht wahr! Wir bestimmen doch nicht alles selbst! Mit meiner Frau muss ich ja zusammenleben! Schließlich sind wir verheiratet! Und da sind ja noch die Kinder! Und mit irgendwas muss ich ja mein Geld verdienen! Und wenn mein Chef mich schickt, muss ich eben auf die blöde Tagung gehen!«
    Muss, müssen, gemusst. Aber das stimmt ja nicht. Alles war zum jeweiligen Zeitpunkt so entschieden – und freiwillig ausgesucht.
    Wir waren, als wir gestern die Weichen für heute gestellt haben, nicht bereit, einen anderen oder höheren Preis zu bezahlen als diesen.
    Alles andere als dieser Beruf, diese Firma, diese Stadt, dieser Chef und dieser Lebenspartner war uns nämlich damals, als wir es entschieden haben, schlicht zu teuer. Wir waren, als wir gestern die Weichen für heute gestellt haben, nicht bereit, einen anderen oder höheren Preis zu bezahlen als diesen. Und wir könnten auchjetzt einfach kündigen, umziehen oder uns scheiden lassen – aber wir tun es nicht, denn der Preis wäre zu hoch. Und wenn wir behaupten, kein Geld zu haben, dann war uns der Preis, mehr zu verdienen, zu hoch. Oder wir hätten in der Vergangenheit besser tauschen müssen.
    Die Vergangenheit kann man nicht ändern. Man kann die Gegenwart ändern, dann ist morgen die Vergangenheit auch eine andere.
    Heute stellen wir die Weichen für unser Gejammer von morgen. Wir haben zu jedem Zeitpunkt die Möglichkeit, ein anderes Leben zu führen. Es liegt an unserer Entscheidung, jeden Tag glücklich zu leben. Die Vergangenheit kann man nicht ändern. Man kann die Gegenwart ändern, dann ist morgen die Vergangenheit auch eine andere.
    Es ist alles eine Frage der Kalkulation: Auf der einen Seite der Baggersee, die Frau im Bikini, die Sonne und das gekühlte Bier. Auf der anderen Seite die langweilige Tagung, das öde Seminarhotel, das anstrengende Zuhören und das Lernen. Eigentlich einfach. Aber Moment! Die Rechnung ist noch nicht vollständig! Auf die eine Seite gehören noch der Sonnenbrand, die irrelevanten Gespräche mit der Frau über die Freundinnen der Frau oder umgekehrt, das schlammige Wasser, die Stechmücken und die Langeweile. Und auf die andere Seite gehören noch die Zornesfalte des Chefs, falls man nicht macht, was er will, das Gehalt, auf das man nicht verzichten möchte, die netten Kollegen inklusive der neuen, sportlichen Assistentin mit der witzigen Brille und last but not least der Auftritt dieses Hermann Scherer. Und dann wird ein Strich drunter gemacht und gerechnet. Das Ergebnis lautet: Nicht Baggersee, sondern Tagung. Und bei ähnlichen Kalkulationen: Nicht faulenzen, sondern büffeln. Nicht ausschlafen, sondern pünktlich beim Job erscheinen. Nicht den Frauen hinterhersteigen, sondern der Frau bei der
    Wir sind Schnäppchenjäger der Lebensentscheidungen.
    Hausarbeit helfen. Nicht auf Abenteuerfahrt sein, sondern in Sicherheit.
    Wir sind Lebenskalkulationsexperten! Wir bewerten permanent die Alternativen, wägen ab und tun dann genau das, was wir als die günstigste Variante errechnet haben. Wir sind Schnäppchenjäger der Lebensentscheidungen. Und das ständig, meistens unbewusst. Da kann man doch beim