Schatzfinder
durch Jammern.
Dass die viel zu hohen Steuern beispielsweise, die wir so gerne bejammern, nur ein saurer Apfel sind, in den wir gerne beißen, wenn wir dafür all die anderen Vorzüge des Lebens und Arbeitens in der Bundesrepublik Deutschland genießen können, wollen wir nicht zugeben. Es klänge komisch, wenn einer sagte: »Ich bezahle den Spitzensteuersatz gerne!« Übrigens: Im Jahr 2012 verblieben den deutschen Arbeitnehmern von jedem verdienten Euro 46,7 Cent. Bis zum 14. Juli arbeiten die Beschäftigten damit rechnerisch für den Staat.
Aber wahr ist nun mal: Die Alternative »Auswandern« ist bis auf Ausnahmen fast allen Menschen einfach zu aufwändig. Und das ist genauso eine Kosten-Nutzen-Rechnung wie die Wahl des Stromanbieters. Auch den wechselt kaum einer, obwohl es fast immer eine billigere oder umweltfreundlichere Alternative gibt. Die »Kosten« des Wechselns überwiegen. Zumindest gefühlt.
Wer sich immer zu Opfer macht, der macht sich selbst zum Täter.
»Ich könnte mich fürchterlich aufregen – aber ich bin nicht verpflichtet dazu.«
Das eigentliche Problem an der weit verbreiteten Opferhaltung ist aber nicht, dass wir glauben, wir müssten, obwohl wir wollen, oder dass wir uns beim Abwägen der Alternativen bisweilen kräftig verkalkulieren. Viel schlimmer ist, dass wir unsere Prioritäten freiwillig so setzen, dass langfristig andere mehr davon haben als wir selbst. Das heißt: Die Leute opfern sich. Sie opfern sich dem Staat. Sie opfern sich dem Chef. Sie opfern sich dem Ehemann. Sie opfern sich den Kindern. Aber wir sind uns doch einig, oder? Das sind freiwillige Opfer! Denn wer in die Verliererrolle geht, der tut das nicht umsonst, der hat schließlich etwas davon! Wer sich immer zu Opfer macht, der macht sich selbst zum Täter. Und natürlich geht manchmal etwas schief, auf das wir keinen Einfluss haben. Wenn wir beispielsweise zum Bahnhof kommen und der Zug fährt nicht. Auch dann ist das Jammern die falsche Option. Jetzt kann man zu sich sagen: »Ich könnte mich fürchterlich aufregen – aber ich bin nicht verpflichtet dazu. Im Gegenteil, ich bin gespannt, wie mein Leben jetzt weitergeht.« Wer all das weiß, der hat mentale Stabilität.
Die weisen Samurai
An einem der schönen süddeutschen Seen hielt ich einmal ein Seminar, bei dem es einen Tag lang praktisch nur um das Thema Freiheit ging. Einer der Teilnehmer kam abends zu mir und sagte: »I bin ned frei!«
Der Mann hatte ein florierendes Geschäft, zehn Mitarbeiter, war finanziell unabhängig – das heißt, er konnte von seinem Vermögen den Rest seines Lebens leben, ohne es aufzuzehren und ohne auch nur einen Tag arbeiten zu müssen. Der Traum vieler Menschen! Auf jeden Fall eine grandiose Form von Freiheit. Außerdem hatte er keine Frau und keine Kinder, seine Firma war gutverkäuflich und Millionen wert. Und er behauptete, er sei nicht frei?
Ich riet ihm: »Dann verkaufen Sie doch Ihr Geschäft.«
Er: »Ich kann nicht.«
Ich: »Dann behalten Sie es und freuen sich daran.«
Er: »Das Geschäft fesselt mich.«
Ich: »Dann verändern Sie das Geschäft.«
Er: »Das geht nicht.«
Und so weiter.
Spätestens da war mir klar, dass er entgegen allen seinen offenkundigen Möglichkeiten und Freiheiten tatsächlich unfrei war. Er litt sogar unter der größten Form von Unfreiheit jenseits von Gewaltakten: Er machte sich unfrei durch Unentschiedenheit. Er zog es vor, sich in der nebligen Mitte zwischen zwei Alternativen aufzuhalten, und ich behaupte: Dort ist die Unfreiheit am größten.
Jede Entscheidung verlangt einen Preis von uns am Kassenhäuschen des Lebens.
Wenn Menschen nicht wissen, was sie haben, machen oder sein wollen, dann treffen sie auch in einzelnen Sachfragen oft keineEntscheidungen. Zwei mögliche Berufe, zwei mögliche Lebenspartner, zwei Sorten Urlaub – sie entscheiden sich nicht und versuchen, beides irgendwie miteinander zu vereinbaren. Und fügen sich damit einen großen Schaden zu. Denn wer eine Entscheidung trifft, der hat etwas, zu dem er stehen kann. Er kann sagen: Das habe ich entschieden, auch wenn ich jetzt auf etwas verzichten muss oder mir der Gegenwind ins Gesicht bläst. Jede Entscheidung verlangt einen Preis von uns am Kassenhäuschen des Lebens. Aber jede Entscheidung nötigt uns auch Respekt vor uns selbst ab. Gerade weil wir den Preis bezahlen! Das macht uns zu Recht stolz. Getroffene Entscheidungen erhöhen die Selbstachtung. Menschen, die keine Entscheidungen treffen, verlieren in
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