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Schau Dich Nicht Um

Titel: Schau Dich Nicht Um Kostenlos Bücher Online Lesen
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Greg Oliver ihr die falschen Schlüssel gegeben? Gleich schoß ihr die Frage durch den Kopf, ob ein solcher Irrtum wohl Absicht oder Versehen gewesen wäre. Aber vielleicht war ja auch Dons Sekretärin schuld. Vielleicht hatte sie Jess’ Schlüssel mit ihren eigenen verwechselt. Oder vielleicht hatte auch der Schlosser den Fehler gemacht. Vielleicht waren die Schlüssel nicht in Ordnung. Vielleicht würde sie nie in ihre Wohnung hineinkommen. Vielleicht würde sie hier draußen im Flur alt werden und sterben, ohne je wieder das Innere ihrer Wohnung zu sehen.
    Vielleicht würde sie aber auch die Tür aufbekommen, wenn sie nur ruhig blieb und es nicht so verbissen versuchte.
    Der Schlüssel drehte sich. Die Tür öffnete sich. Das Telefon hörte auf zu läuten.
    Na, wenigstens bin ich drinnen, sagte sich Jess und winkte ihrem Kanarienvogel zu. Sie stellte ihre Aktentasche ab, zog die Stiefel aus und ging die Post durch, die sie in der Manteltasche mit nach oben genommen hatte. Nichts Aufregendes, dachte sie dankbar und warf Briefe und Mantel auf das Sofa.
    »Das war vielleicht ein Tag, Fred. Eine Frau, die ich kaum kenne, hat mir neue Unterwäsche gekauft, ich habe neue Schlüssel bekommen und nagelneue Schlösser, schau!« Sie ging zur Tür, sperrte mehrmals auf und zu, bis der Schlüssel sich fast wie von selbst drehte. »Und bei Gericht war ich heute große Klasse«, fuhr sie fort. »Du hättest sehen sollen, wie -« Sie brach ab. »Das ist ja zum Heulen«, sagte sie laut. »Jetzt red ich schon mit dem Kanarienvogel.«
    Sie ging in die Küche und starrte das Telefon an. »Los, läute, verdammt noch mal!«
    Aber das Telefon blieb still. Das ist ja lächerlich, dachte Jess und
packte gereizt den Hörer. Das Telefon ist keine Einbahnstraße. Wer sagt, daß ich warten muß, bis jemand mich anruft? Ich kann schließlich auch selbst anrufen.
    Nur wen? Sie war nicht mit einem großen Freundeskreis gesegnet. Nach der göttlichen Ruhe in der unteren Etage zu schließen, war Walter Fraser nicht zu Hause. Sie hatte keine Ahnung, wo sie Adam erreichen konnte. Sie hatte Angst, ihren Vater anzurufen. Ihre Schwester stand derzeit nicht auf bestem Fuß mit ihr.
    Ich kann Don anrufen, dachte sie, ich sollte ihn anrufen, ihm von meinem heutigen großen Erfolg erzählen, ihm dafür danken, daß er mich gestern nach Union Pier mitgenommen hat. Wäre diese Fahrt nicht gewesen, so hätte sie das Schild des Schützenvereins Union Pier nie gesehen, wäre nie auf den Gedanken gekommen, Bogensportvereine in und um Chicago ausfindig zu machen, hätte niemals die Chance bekommen, heute vor Gericht so zu glänzen. Ganz abgesehen davon war sie ihm auch Dank für alles andere schuldig, was er für sie getan hatte - die neue Unterwäsche, die neuen Schlüssel, die neuen Schlösser.
    Aber genau das war der Grund, weshalb sie ihn nicht anrufen wollte. Das begriff sie. Wie ein verwöhntes Kind, das zuviel bekommen hat und Gefahr läuft, überwältigt zu werden, war sie es müde, Danke schön zu sagen, war es leid, dankbar sein zu müssen. Ihren heutigen Triumph bei Gericht konnte sie mit Don nicht teilen, ohne seinen Anteil an ihrem Erfolg zu würdigen, und dazu war sie noch nicht bereit.
    »Du wirst auf deine alten Tage ganz schön egoistisch«, hielt sie sich vor und dachte dann, daß sie jetzt wahrscheinlich ja nicht egoistischer war als früher. »Es lassen sich bestimmt ein paar Zeugen aus der Vergangenheit ausgraben, die gegen dich aussagen können«, sagte sie zu sich selbst und sah augenblicklich das tränennasse Gesicht ihrer Mutter vor sich.
    »Zum Teufel mit dem Quatsch«, schimpfte sie vor sich hin und
wählte kurz entschlossen die Nummer ihrer Schwester in Evanston. »Wahrscheinlich hole ich sie gerade von den Zwillingen weg«, murmelte sie, nachdem es sechsmal geläutet hatte und sich nichts rührte.
    Dann aber meldete sich eine Stimme, die ihr fremd war, eine Stimme zwischen einem Krächzen und einem Knurren.
    »Hallo?« Es klang sehr mühsam.
    »Wer ist denn am Apparat?« fragte Jess. »Maureen, bist du das?«
    »Nein, Barry«, flüsterte es heiser.
    »Barry! Was ist denn mit dir los?«
    »Eine grauenhafte Erkältung«, erklärte Barry, den das Sprechen hörbar anstrengte. »Kehlkopfentzündung.«
    »Mein Gott. Fühlst du dich so schlecht, wie du klingst?«
    »Schlechter. Der Arzt hat mir Antibiotika verschrieben. Maureen ist gerade in die Apotheke gefahren, um sie zu holen.«
    »Die Ärmste. Jetzt muß sie sich statt um drei gleich

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