Schau Dich Nicht Um
Unberechenbarkeit der Geschworenen in Betracht gezogen werden. Man durfte sich seiner Sache nie zu sicher sein.
»Am besten war es«, sagte Neil Strayhorn, als sie in ihr gemeinsames Büro zurückkamen, »als du ihn gefragt hast, ob er je von den Aurora-County-Bogenschützen gehört habe.«
»Ja, und er verzog keine Miene«, stimmte Barbara Cohen ein, »aber man konnte förmlich sehen, wie ihm die Kinnlade runterfiel.«
Jess gestattete sich ein lautes Lachen. Auch sie hatte diesen Moment am meisten genossen.
»Sieh einer an, die Schneekönigin schmilzt.« Greg Oliver stand im Türrahmen, an jedem Pfosten eine Hand, und beugte sich ins Zimmer.
»Was können wir für dich tun, Greg?« Jess spürte, wie ihre gute Stimmung sich trübte.
Greg Oliver ging gemächlich auf Jess’ Schreibtisch zu und schüttelte dabei die zu einer losen Faust geballte Hand, als wollte er würfeln. »Ich hab ein Geschenk für dich.«
»Ein Geschenk für mich«, wiederholte Jess wenig geistreich.
»Etwas, das du brauchst. Sehr dringend sogar.« Greg Olivers Ton war voll zweideutiger Anspielung.
»Ist es größer als eine Brotbüchse?« fragte Neil Strayhorn.
»Eine Brotbüchse könnt ich echt gebrauchen«, erklärte Barbara Cohen.
Jess blickte Greg Oliver kühl in die Augen und wartete. Sie sagte nichts.
»Keine Vermutungen?« fragte Greg.
»Keine Geduld«, konterte Jess und begann, ihre Sachen zusammenzupacken. »Greg, du bist mir ja lieb und wert, aber ich muß hier dringend noch was arbeiten, und dann möchte ich nach Hause. Es war ein langer Tag.«
»Soll ich dich fahren?« Greg verzog den Mund zu einem schmallippigen, dünnen Lächeln.
»Ich habe Jess schon angeboten, sie nach Hause zu fahren«, sagte Neil Strayhorn rasch, und Jess lächelte dankbar.
»Aber ich habe das, was du brauchst«, beharrte Greg Oliver. Er öffnete die Faust und ließ einen Schlüsselbund vor Jess auf ihren Schreibtisch fallen. »Die Schlüssel zu Madames Wohnung.«
Jess nahm die neuen Schlüssel. Der abgestandene Duft von Gregs Eau de Cologne wehte ihr in die Nase. »Woher hast du die?«
»Eine junge Frau hat sie heute nachmittag vorbeigebracht. Ganz niedlich, nur ihre Schenkel waren ein bißchen aus der Fasson.«
»Du bist wirklich das letzte«, sagte Barbara Cohen zu ihm.
»Hey, ich bin der neue Mann der neunziger Jahre, weich und sensibel.« Lässig ging er zur Tür zurück, winkte einmal kurz mit zwei Fingern und verschwand.
»Wo ist meine Armbrust?« fragte Barbara Cohen.
»Die ist leider nie da, wenn man sie braucht.« Jess sah die Liste der Zeugen durch, die am nächsten Tag aufgerufen werden sollten, und machte sich noch ein paar Notizen, bis sie das Gefühl hatte, vor Müdigkeit nicht mehr aus den Augen sehen zu können. »Wie läuft der Fall Alvarez?«
»Ich bin fast fertig mit den außergerichtlichen Einvernahmen«, antwortete Barbara Cohen. »McCauliff scheint allerdings nicht in der Stimmung, eine außergerichtliche Vereinbarung zu treffen.«
»Dazu hört sich McCauliff viel zu gerne reden, besonders in einem vollen Gerichtssaal. Seid vorsichtig. Er wird versuchen, euch mit einer Flut großer Worte einzuschüchtern, die kein Mensch versteht«, warnte Jess ihre Mitarbeiter. »Werdet ihr mit ihm fertig?«
»Ich hab mir schon das Fremdwörterlexikon bereitgelegt«, antwortete Neil lächelnd.
Jess wollte das Lächeln erwidern, aber sie war zu müde, um auch nur den Mund zu verziehen. »Ich bin fertig, Leute. Ich mach jetzt Schluß.«
Barbara Cohen sah auf ihre Uhr. »Aber du fühlst dich wohl?«
»Ja ja, ich bin nur hundemüde.«
»Werd uns nur nicht krank«, beschwor Barbara sie. »Wir kommen jetzt auf die Zielgerade.«
»Ich hab gar keine Zeit, krank zu werden«, sagte Jess.
»Komm, du hast gehört, wie ich Oliver gesagt habe, daß ich dich nach Hause fahre«, sagte Neil.
»Das ist doch Quatsch, Neil. Das ist doch eine ganz andere Richtung.«
»Willst du mich zum Lügner machen?«
»Wann willst du endlich nachgeben und dir ein neues Auto kaufen?« fragte Barbara.
Jess sah ihren geliebten roten Mustang vor sich, nur noch ein mit Kot verschmiertes Wrack. »Sobald ich Rick Ferguson hinter Gittern habe«, antwortete sie.
Das Telefon läutete, als sie nach Hause kam. »Augenblick«, rief sie, während sie erfolglos mit dem neuen Schlüssel hantierte. »Verdammt noch mal, mach schon. Herrgott, wieso geht das nicht.«
Drinnen läutete das Telefon weiter, und der Schlüssel ließ sich immer noch nicht drehen. Hatte
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