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Schau Dich Nicht Um

Titel: Schau Dich Nicht Um Kostenlos Bücher Online Lesen
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Aufwiedersehen zu sagen.
    »Detective Mansfield hat eben angerufen«, berichtete ihr Neil. »Rick Ferguson ist abgehauen. Sie leiten eine Fahndung ein.«
    Das Telefon auf Jess’ Schreibtisch läutete.
    »Das scheint mal wieder einer von diesen ganz verflixten Tagen zu werden«, sagte Barbara. »Soll ich rangehen?«
    Jess schüttelte den Kopf und hob ab. »Jess Koster.«
    »Jess, ich bin’s, Maureen. Hab ich einen ungünstigen Moment erwischt?«

    Jess seufzte. »Na ja, der günstigste ist es nicht gerade.« Sie konnte beinahe die Enttäuschung im Gesicht ihrer Schwester sehen. »Aber ein paar Minuten kann ich schon abzwacken.«
    »Barry hat mir erst heute morgen gesagt, daß du am Montag angerufen hast«, fuhr Maureen fort. »Entschuldige, das tut mir wirklich leid.«
    »Wieso entschuldigst du dich für Barrys Versäumnisse?«
    Schweigen.
    »Entschuldige«, sagte Jess hastig. Wieso schaffte sie es nicht, ein einziges Mal den Mund zu halten?
    »Er war die ganze Woche so krank. Er konnte kaum einen klaren Gedanken fassen vor lauter Kopfschmerzen. Der Arzt hatte Angst, es könnte sich um eine Lungenentzündung handeln, aber die Antibiotika haben dem Virus oder was es sonst war den Garaus gemacht. Barry hat heute morgen wieder zu arbeiten angefangen.«
    »Freut mich, daß es ihm wieder bessergeht.« Jess sah augenblicklich den widerlichen Brief vor sich, den sie bekommen hatte, und fragte sich erneut, ob Barry ihn ihr geschickt haben konnte.
    »Und als er heute morgen zur Tür hinausmarschierte, fiel ihm plötzlich ein, daß du angerufen hast. Ich hätte ihn umbringen können.«
    »Bei euch scheint’s ja ganz schön gewalttätig zuzugehen«, sagte Jess zerstreut.
    »Was?«
    »Und, wie geht es dir?«
    »Mir? Ich hab keine Zeit, krank zu werden«, sagte Maureen und hörte sich in diesem Moment sehr wie ihre jüngere Schwester an. »Ich wollte dich nur anrufen, damit du nicht glaubst, ich würde auf deinen Anruf einfach nicht reagieren. Ich bin so froh, daß du dich gemeldet hast...« Ihre Stimme drohte in Tränen zu ersticken.
    »Wie geht es Dad?« fragte Jess, der plötzlich bewußt wurde, daß sie ihren Vater seit Wochen nicht gesprochen hatte. Sogleich meldeten
sich, wie immer, Schuldgefühle und Zorn. Schuldgefühle über ihr Versäumnis, Zorn über die Schuldgefühle.
    »Er ist wirklich sehr glücklich, Jess.«
    »Das freut mich.«
    »Sherry tut ihm sehr gut. Sie bringt ihn zum Lachen und hält ihn auf Trab. Die beiden kommen nächsten Freitag zum Abendessen zu uns. Wir wollen den Christbaum aufstellen und das Haus schmükken und so.« Sie hielt einen Moment inne. »Möchtest du nicht auch kommen?«
    Jess schloß die Augen. Wie lange wollte sie noch ausgerechnet die Menschen verletzen, die ihr am meisten bedeuteten?
    »Gern«, sagte sie.
    »Bist du sicher?«
    »Ich freu mich drauf.«
    »Du freust dich?« wiederholte Maureen, als brauchte sie die Bestätigung ihrer eigenen Stimme, um glauben zu können, was sie hörte. »Ja«, sagte sie dann, »es wird bestimmt lustig. Du hast uns gefehlt. Tyler spielt fast nur mit dem kleinen Flugzeug, das du ihm damals mitgebracht hast. Und du kannst dir nicht vorstellen, wie die Zwillinge gewachsen sind.«
    Jess lachte. »Also wirklich, Maureen, so lange ist es nun auch wieder nicht her.«
    »Fast zwei Monate«, entgegnete Maureen.
    Jess war bestürzt. Waren tatsächlich zwei Monate vergangen, seit sie das letzte Mal ihre Familie gesehen hatte?
    »Ich muß jetzt Schluß machen«, sagte sie.
    »Natürlich, du hast bestimmt wahnsinnig viel zu tun. Ich hab in den Nachrichten gehört, daß die Geschworenen im Armbrust-Prozeß sich gestern zur Beratung zurückgezogen haben. Habt ihr schon was gehört?«
    »Nein.«
    »Viel Glück.«

    »Danke.
    »Also bis nächste Woche«, sagte Maureen.
    »Bis nächste Woche«, bestätigte Jess.
    »Ist was?« fragte Barbara, als Jess auflegte.
    Jess schüttelte den Kopf und tat so, als studierte sie die Akte, die vor ihr auf dem Schreibtisch lag. Fast zwei Monate, dachte sie. Zwei Monate seit ihrem letzten Besuch im Haus ihrer Schwester. Zwei Monate, seit sie ihren kleinen Neffen an sich gedrückt und die Zwillinge im Arm gehalten hatte. Zwei Monate, seit sie ihren Vater das letzte Mal gesehen hatte.
    Wie hatte sie das geschehen lassen können? Waren diese Menschen denn nicht das Einzige, was sie noch hatte? Was war nur los mit ihr? War sie so egozentrisch, nahm sie sich selbst so wichtig, daß sie über den Rand ihrer eigenen engen kleinen Welt nicht

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