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Schau Dich Nicht Um

Titel: Schau Dich Nicht Um Kostenlos Bücher Online Lesen
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auf dem Papier stand. »Wir, die Geschworenen«, begann er, räusperte sich noch einmal, »sprechen den Angeklagten, Terry Wales, des vorsätzlichen Mordes schuldig.«
    Im Gerichtssaal war sofort die Hölle los. Reporter rannten hinaus; viele Zuschauer sprangen auf; Freunde und Verwandte der Toten umarmten einander unter Tränen. Richter Harris dankte den
Geschworenen und entließ sie. Jess ließ sich von ihren Mitarbeitern umarmen, nahm ihre Glückwünsche entgegen, sah die Resignation in Hal Bristols Blick, das höhnische Lächeln auf den Lippen des Angeklagten, als er abgeführt wurde.
    Draußen vor dem Gerichtssaal umringten sie die Reporter, hielten ihr Mikrofone vor das Gesicht, fuchtelten ihr mit Notizblöcken vor der Nase herum.
    »Hat das Urteil Sie überrascht? Haben Sie damit gerechnet, daß Sie siegen würden? Wie fühlen Sie sich?« fragten sie, während die Fernsehkameras surrten und Blitzlichter explodierten.
    »Wir haben großes Vertrauen in das Geschworenensystem dieses Landes«, sagte Jess auf dem Weg zu den Aufzügen zu den Reportern. »Wir haben keinen Moment am Ausgang dieses Prozesses gezweifelt.
    »Werden Sie die Todesstrafe fordern?« rief jemand.
    »Darauf können Sie sich verlassen«, antwortete Jess. Sie drückte auf den Aufzugknopf und hörte ein paar Schritte weiter Hal Bristol einem anderen Reporter erklären, er werde in die Berufung gehen.
    »Was ist es für ein Gefühl, so einen Prozeß zu gewinnen?« rief eine Frau am äußeren Rand des Gedränges.
    Jess wußte, sie hätte die Reporter daran erinnern sollen, daß hier nicht der Sieg das Wichtige war, sondern die Wahrheit; daß hier ein Schuldiger für ein gemeines Verbrechen verurteilt worden war, daß der Gerechtigkeit Genüge getan worden war. Sie lächelte strahlend. »Es ist ein herrliches Gefühl«, antwortete sie.
     
    »Hey, das Foto, das ich heut morgen in der Zeitung gesehen habe, waren Sie das?« fragte Vasiliki Jess, die vor dem Spiegel des Wen-Do-Trainingsraums stand und ihr Haar zum Pferdeschwanz zusammenband.
    »Ja, das war ich«, bestätigte Jess zurückhaltend. Sie hatte immer noch einen Kater von der ausgiebigen Feier in Jeans Restaurant am
Abend zuvor. Im Gegensatz zu vielen Staatsanwälten, für die Jeans eine Art zweites Zuhause war, ging Jess normalerweise nach der Arbeit nicht in das Restaurant. Aber gestern abend hatten alle behauptet, der Sieg müßte unbedingt gefeiert werden, und, um der Wahrheit die Ehre zu geben, sie hatte sich nach Lob und Anerkennung gesehnt.
    Sobald sie wieder in ihrem Büro gewesen war, hatte sie ihren Vater angerufen, aber der war nicht zu Hause gewesen; danach hatte sie es bei ihrer Schwester versucht, aber die war mit den Kindern beschäftigt gewesen und hatte nur für einen kurzen Glückwunsch Zeit gehabt.
    Sie hatte Don angerufen, ihm von ihrem Sieg erzählt, worauf er entschuldigend gesagt hatte, er könnte leider nicht mit ihr feiern, da er bereits verabredet sei. Mit Trish natürlich, dachte Jess, sagte es aber nicht, fragte sich vielmehr, was sie von dem Mann eigentlich erwartete.
    Danach hatte sie etwas getan, was sie nie zuvor getan, sich nie zuvor gegönnt hatte: Sie war in die Toilette gegangen, hatte sich in eine Zelle eingeschlossen, sich hingestellt und die Augen zugemacht. »Ich habe gewonnen«, hatte sie leise gesagt und sich vom Schatten ihrer Mutter stolz in die Arme nehmen lassen.
    Die Feier in Jeans Restaurant war bis in die frühen Morgenstunden gegangen. Ihr vorgesetzter Staatsanwalt, Tom Olinsky, hatte sie nach Hause gefahren. Er hatte sie bis vor die Haustür begleitet und gewartet, bis sie sicher und wohlbehalten im Haus war. Von dem Mann, den Don engagiert hatte, sie zu beschützen, sah Jess keine Spur, aber sie wußte, daß er da war, und war wider Willen froh darüber.
    Sie hatte nach dieser langen Nacht so fest geschlafen, daß sie nicht einmal ihren Wecker gehört hatte und beinahe zum Wen-Do-Unterricht zu spät gekommen wäre. Sie hatte nicht einmal mehr Zeit gehabt, sich das Haar zu bürsten.

    Und jetzt stand sie hier, mit leerem Magen und dröhnendem Schädel, und man erwartete von ihr, daß sie brüllte wie ein Berserker, mit Adlerklauen kratzte und Hammerfäusten zuschlug.
    »Sie haben uns keinen Ton davon gesagt, daß Sie eine berühmte Staatsanwältin sind«, schalt Vasiliki, während die anderen Frauen einen Kreis um sie bildeten.
    »So berühmt nun auch wieder nicht.« Jess lächelte verlegen, fühlte sich in ihrer neuen Rolle gar nicht wohl.

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