Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Schau Dich Nicht Um

Titel: Schau Dich Nicht Um Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: authors_sort
Vom Netzwerk:
kleiner Junge, der immer gemein zu ihr sei. ›Er sagt immer ganz häßliche Sachen zu mir, und das mag ich überhaupt nicht‹, erklärte sie mir. Als ich fragte, was er denn zu ihr sagte, antwortete sie mir mit ihrem zarten unschuldigen Stimmchen: ›Er nennt mich immer Strichbiene.‹«
    Jess lachte schallend.
    »Ja, so hab ich leider auch reagiert«, sagte Adam und lachte ebenfalls. »Und das hat sie natürlich noch ermutigt. Sie hat mich mit ihren großen braunen Augen angesehen und gesagt: ›Kommst du heute mit mir in den Kindergarten, Daddy? Sagst du ihm, daß er mich nicht mehr Strichbiene nennen soll?‹«
    »Und? Hast du es getan?«

    »Nein, ich hab ihr gesagt, ich sei sicher, sie könnte allein mit diesem kleinen Frechdachs fertig werden. Und so war es anscheinend auch, denn wir haben nie wieder etwas über ihn gehört.«
    »Ich hab das Gefühl, du warst ein sehr guter Vater.«
    »Ich hoffe es.«
    »Warst du auch ein guter Anwalt?« fragte Jess nach einer Pause.
    »Der beste in Springfield.«
    »Denkst du manchmal daran, wieder anzufangen?«
    »In Springfield? Niemals.«
    »Aber mit der Juristerei?«
    Er antwortete nicht gleich. Statt dessen winkte er Carla, die einen Moment zögerte, dann etwas zaghaft an ihren Tisch kam.
    »Eine Pizza Spezial bitte und zwei Gläser Chianti.«
    Carla nickte und ging gleich wieder, ohne ein Wort zu sagen.
    »Du hast meine Frage nicht beantwortet«, erinnerte Jess ihn.
    »Ob ich manchmal daran denke, wieder mit der Juristerei anzufangen?« wiederholte er nachdenklich. »Ja, natürlich denke ich daran.«
    »Und glaubst du, du wirst es tun?«
    »Ich weiß noch nicht. Vielleicht. Meine Knie sind ein bißchen strapaziert vom Schuhverkauf. Wenn ein aufregender Fall daherkäme, ließe ich mich vielleicht breitschlagen. Wer weiß?«
    Carla brachte ihnen den Wein. Jess hob ihr Glas und stieß mit Adam an.
    »Auf die schönen Erinnerungen«, sagte sie.
    »Auf die schönen Erinnerungen«, stimmte er zu.
     
    Sie wußte sofort, als sie vor ihrer Wohnung ankamen, daß etwas nicht stimmte. Wie angewurzelt blieb Jess vor der Wohnungstür stehen, wartete, lauschte.
    »Was ist denn?« fragte Adam.
    »Hörst du das?« fragte sie.

    »Ich höre dein Radio, wenn du das meinst. Läßt du das nicht immer für den Vogel laufen?«
    »Ja, aber nicht so laut.«
    Adam sagte nichts. Jess schob den Schlüssel ins Schloß und drehte ihn, behutsam stieß sie die Tür auf.
    »Mein Gott, hier ist es ja eiskalt!« rief sie sofort. Sie sah, wie die dünnen Spitzenvorhänge des Wohnzimmerfensters sich im Wind bauschten.
    »Hast du das Fenster offengelassen?«
    »Nein.« Jess lief zum Fenster und schlug es zu. Die Vorhänge fielen um sie herum zusammen und bedeckten ihr Gesicht wie ein Leichentuch, während die Musik anschwoll. Opernmusik. Sie schüttelte die Vorhänge ab und lief zum Stereo, um es leise zu drehen. Carmen. »Auf in den Kampf, Torero...«
    »Vielleicht sollten wir die Polizei anrufen«, sagte Adam.
    Jess drehte sich einmal im Kreis. Abgesehen vom offenen Fenster und der überlauten Musik schien alles in Ordnung zu sein. »Es fehlt nichts, soweit ich sehen kann.« Sie wollte ins Schlafzimmer gehen.
    »Geh da nicht hin, Jess«, warnte Adam.
    Jess blieb stehen und drehte sich nach ihm um. »Warum nicht?«
    »Weil du nicht weißt, was oder wer dich dort vielleicht erwartet«, erklärte er. »Lieber Himmel, Jess, gerade du solltest doch gescheiter sein. Wovor warnt die Polizei die Leute als erstes, wenn sie den Verdacht haben, daß bei ihnen eingebrochen worden ist? Sie warnt davor, ins Haus oder in die Wohnung hineinzugehen«, fuhr er fort, ohne auf ihre Antwort zu warten. »Und warum warnt sie davor?«
    »Weil der Einbrecher noch drinnen sein kann«, antwortete Jess leise.
    »Also komm, verschwinden wir hier und rufen wir die Polizei an«, sagte er wieder.
    Jess ging zwei Schritte auf ihn zu, dann blieb sie wie angewurzelt stehen. »Um Gottes willen!«

    Adam fuhr herum, wandte sich dann gleich wieder Jess zu. »Was denn? Was ist denn?«
    »Fred«, sagte sie mit zitternder Stimme und wies zum Vogelkäfig.
    Einen Moment lang schien Adam völlig verwirrt zu sein und nicht zu begreifen, wovon sie sprach.
    »Er ist weg!« rief Jess laut. Sie rannte zum Vogelkäfig, drückte ihr Gesicht an das Gitter, um hineinzusehen, öffnete das Türchen, um sich zu vergewissern, daß der kleine Vogel nicht unter dem Papier versteckt war, mit dem der Boden ausgelegt war. Aber der Vogel war nicht da. »Jemand hat

Weitere Kostenlose Bücher