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Schau Dich Nicht Um

Titel: Schau Dich Nicht Um Kostenlos Bücher Online Lesen
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jedenfalls nicht offen unfreundlich.
    Sie hatte sich bemüht, ihn positiv zu sehen. Als er vor gut sechs Jahren ihre Schwester geheiratet hatte, hatte Jess angenommen, sie würde automatisch jeden mögen, der ihre Schwester glücklich machte. Aber sie hatte sich getäuscht.
    Vielleicht störte sie die verstohlene Art und Weise, wie er versuchte, seine beginnende Glatze zu verbergen, indem er sein schütteres Haar von der einen Kopfseite zur anderen kämmte. Oder die Tatsache, daß seine Fingernägel gepflegter waren als ihre eigenen, daß er sich damit brüstete, nach jeder Mahlzeit seine Zähne mit Zahnseide zu säubern. Vielleicht störte sie auch seine Gewohnheit, stets Hemd und Krawatte zu tragen, selbst, wie heute abend, unter einem sportlichen Pullover.
    Wahrscheinlicher war, dachte sie, daß sie den kaum verhüllten Chauvinismus, der in seinen Bemerkungen steckte, nicht ausstehen konnte, seine lässig herablassende Art, die Tatsache, daß er nie zugeben konnte, im Unrecht zu sein. Oder vielleicht nahm sie ihm auch übel, daß er aus einer intelligenten, interessierten Absolventin der Harvard Business School die perfekte Frau und Mutter gemacht hatte, die so eifrig damit beschäftigt war, ihm ein gemütliches Zuhause zu schaffen und Kinder in die Welt zu setzen, daß sie gar keine Zeit hatte daran zu denken, ihre vielversprechende berufliche Laufbahn wiederaufzunehmen. Was hätte ihre Mutter davon gehalten?
    »Du siehst gut aus«, sagte Barry zu ihr. »Das ist ein sehr schöner Pulli. Du solltest häufiger Blau tragen.«
    »Er ist grün.«
    »Grün? Nein, er ist blau.«

    Stritten sie sich jetzt allen Ernstes über die Farbe ihres Pullovers?
    »Können wir uns auf Türkis einigen?« fragte sie.
    Barry machte ein skeptisches Gesicht und schüttelte den Kopf. »Er ist blau«, erklärte er und warf einen Blick zum Feuer. Barry verstand wie kein anderer, ein gutbrennendes Feuer zu machen.
    Jess holte tief Luft. »Und wie läuft das Geschäft, Barry?«
    Er fegte ihre Frage mit einer lässigen Handbewegung weg. »Du willst doch nicht im Ernst von meinen Geschäften hören.«
    »Nein?«
    »Doch?«
    »Barry, ich hab dir eine simple Frage gestellt. Wenn es zu kompliziert ist -«
    »Die Geschäfte laufen hervorragend. Könnten gar nicht besser laufen.«
    »Gut.«
    »Nicht nur gut.« Er lachte. »Hervorragend. Könnten nicht besser sein.«
    »Könnten nicht besser sein«, wiederholte Jess und sah zur Treppe. Wo blieb ihre Schwester?
    »Gerade heute«, sagte Barry, »hatte ich einen sehr gelungenen Tag.«
    »Und wieso war er so gelungen?« fragte Jess.
    »Ich habe meinem ehemaligen Partner einen sehr wichtigen Kunden abspenstig gemacht.« Barry lachte befriedigt. »Und der Saukerl hat’s überhaupt nicht kommen sehen.«
    »Ich dachte, ihr beide wärt Freunde.«
    »Das dachte er auch.« Jetzt lachte er schallend. »Der Kerl hat sich eingebildet, er kann mich ungestraft in die Pfanne hauen.« Er tippte sich mit dem Zeigefinger an den Kopf. »Ich vergesse nie was. Ich vergelte Gleiches mit Gleichem.«
    »Du vergiltst Gleiches mit Gleichem«, wiederholte Jess.
    »He, ich hab nichts Verbotenes getan.« Er zwinkerte. »Übrigens
hab ich heute nachmittag ein Informationsblatt über eine neue Art privater Lebens- und Rentenversicherung auf den Schreibtisch bekommen. Ich finde, du solltest dir so was mal ansehen. Wenn du möchtest, kann ich dir die Daten zuschicken.«
    »Ach ja«, sagte Jess. »Das wäre nett.«
    »Ich werd’s auch deinem Vater mal sagen.«
    Sie sahen beide auf ihre Uhren. Wieso war ihr Vater noch nicht gekommen? Er wußte doch, wie sehr es sie stets beunruhigte, wenn er sich verspätete.
    »Und wie war dein Tag?« erkundigte sich Barry und schaffte es, ein Gesicht zu machen, als interessierte es ihn wirklich.
    »Hätte besser sein können«, antwortete Jess ironisch und war eigentlich nicht überrascht, als ihm das gar nicht auffiel. Ich hab einen Prozeß verloren, den ich unbedingt gewinnen wollte, ich hatte mitten in der Michigan Avenue eine Angstattacke und ich wäre beinahe überfahren worden, aber dafür hat mir eine Frau ein Kompliment über meine Kleidung gemacht, der Tag war also nicht ganz zum Heulen, fuhr sie im stillen fort.
    »Ich weiß nicht, wie du das aushältst«, sagte Barry.
    »Was denn?«
    »Dich Tag für Tag mit diesem Gesindel herumschlagen zu müssen«, erläuterte er.
    »Ich bin diejenige, die das Gesindel ins Gefängnis bringen darf«, entgegnete sie.
    »Ja, wenn du

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