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Schau Dich Nicht Um

Titel: Schau Dich Nicht Um Kostenlos Bücher Online Lesen
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Schweigen sichtlich Unbehagen einflößte. Sie ging ein paar Schritte, dann blieb sie stehen. »Alles in Ordnung? Sie sehen ein bißchen blaß aus.«
    Jess wollte sprechen, konnte aber nur nicken, verzog ihre Lippen mit Anstrengung zu einem, wie sie hoffte, beruhigenden Lächeln. Die Frau erwiderte das Lächeln kurz, dann ging sie in flottem Tempo die Straße hinunter davon, wobei sie mehrmals rasch über die Schulter zu Jess zurücksah. Sie will sich wahrscheinlich vergewissern, daß ich ihr nicht wieder folge, dachte Jess, und fragte sich erneut, was in sie gefahren war. Wie war sie auf die Schnapsidee gekommen, dieser Frau hinterherzulaufen, Herrgott noch mal? Und was war jetzt wieder mit ihr los?
    Sie hatte wieder einmal einen ihrer verdammten Angstanfälle, stellte sie fest. »Mein Gott«, stöhnte sie und kämpfte verzweifelt gegen die Angst an, die ihren Kopf schwimmen machte und ihre Beine lähmte. »Das ist ja lächerlich. Was soll ich tun?«
    Die Tränen schossen ihr in die Augen, und sie wischte sie zornig weg. »Da stehe ich mitten auf der verdammten Michigan Avenue und heule«, beschimpfte sie sich selbst. »Mitten auf der verdammten Michigan Avenue und halte Selbstgespräche!« Dem betuchten Publikum in der Michigan Avenue würde so etwas viel eher auffallen als den Dealern und Pennern in der California Avenue, auch wenn sich hier genausowenig jemand um sie kümmern würde wie dort.
    Sie schleppte sich Schritt für Schritt zu einer Bushaltestelle und
lehnte sich gegen die Seitenwand. Selbst durch ihre Jacke fühlte sie die Kälte auf der Haut. Ich gebe nicht klein bei, dachte sie zornig. Ich laß mich von diesen blöden Anfällen nicht unterkriegen.
    Denk an schöne Dinge, sagte sie sich. Stell dir vor, du wirst massiert, denk an einen Urlaub in Hawaii; denk an deine kleinen Nichten. Sie stellte sich vor, ihre weichen warmen Köpfchen lägen an ihren kalten Wangen, und erinnerte sich plötzlich, daß sie um sechs zum Abendessen bei ihrer Schwester sein sollte.
    Unmöglich. Sie konnte doch nicht so zu ihrer Schwester hinausfahren. Was, wenn sie immer noch in diesem Zustand war? Oder vor versammelter Mannschaft wieder so einen Anfall bekam? Wollte sie denn gerade den Menschen, die ihr die liebsten waren, ihre Neurosen zumuten?
    Wozu ist denn die Familie da? hätte Maureen zweifellos gefragt.
    Gallebitterer Geschmack stieg in Jess’ Kehle auf. Du lieber Gott, würde sie sich etwa übergeben? Mitten auf der verdammten Michigan Avenue? Sie zählte bis zehn, dann bis zwanzig, schluckte hastig, einmal, zweimal, dreimal, ehe der Reiz sich endlich legte. Tief atmen, hatte Don in solchen Fällen immer zu ihr gesagt, und sie tat es, füllte ihre Lunge mit kalter Luft und hielt sich eisern aufrecht, obwohl sie sich am liebsten vor Schmerzen zusammengekrümmt hätte.
    Niemand bemerkte ihre Qualen. Achtlos eilten die Fußgänger an ihr vorüber, einer fragte sie sogar, wie spät es sei. Doch nicht so anders als in der California Avenue, dachte sie, als ein Bus vor ihr anhielt und mehrere Leute sich durch die geöffnete Tür an ihr vorbeidrängten, als wäre sie gar nicht vorhanden. Der Fahrer wartete einige Sekunden darauf, daß sie einsteigen würde, zuckte die Achseln, als sie es nicht tat, schloß die Türen und fuhr weiter. Jess spürte die warme Wolke schmutziger Luft aus dem Auspuff des Busses in ihrem Gesicht, als das Fahrzeug sich entfernte. Sie fand es merkwürdig beruhigend.

    Bald normalisierte sich ihr Atem. Sie fühlte, wie die Farbe in ihre Wangen zurückkehrte, die Lähmung nachließ. »Alles in Ordnung«, sagte sie leise zu sich selbst, schob einen Fuß vor den anderen und trat so vorsichtig, als steige sie in eine heiße Wanne, vom Bordstein hinunter. »Alles okay. Es ist vorbei.«
    Das Auto kam aus dem Nichts.
    Es ging so schnell, geschah so unerwartet, daß Jess, noch während es geschah, das merkwürdige Gefühl hatte, es widerführe einer anderen. Sie stand irgendwo neben sich und beobachtete die Ereignisse zusammen mit dem halben Dutzend Gaffer, die sich rasch am Ort des Geschehens einfanden.
    Jess spürte einen Luftzug neben sich, sah, wie ihr Körper sich drehte wie ein Kreisel, nahm flüchtig den weißen Chrysler wahr, der um die Straßenecke verschwand. Erst dann kehrte sie in den Körper zurück, der am Straßenrand auf den Knien lag. Erst dann fühlte sie die brennenden Schrammen an Händen und Knien. Erst dann hörte sie die Stimmen.
    »Ist Ihnen was passiert?«
    »Mein Gott, ich dachte,

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